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Friedrich Gerstäcker veröffentlichte eine Vielzahl von Erzählungen, Romanen und vor allem Berichte über seine verschiedenen Reisen, die ihn zu einem der meistgelesenen und bekanntesten Autoren Deutschlands machten. So war Gerstäcker in Amerika unter anderem als Holzfäller, Viehtreiber, Heizer und Koch auf einem Mississippidampfer, Lehrer und vor allem als (Großwild-) Jäger unterwegs. Er durchstreifte Nord- und Südamerika, die Inselwelt des Stillen Ozeans, Australien. „Californische Skizze” ist eine klassische deutsche literarische Arbeit, das die frühen Tage in Kalifornien beschreibt. Aufregendes Detail und Humor machen das zu einem außergewöhnlichen Interesse.
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Friedrich Gerstäcker
Californische Skizze
Warschau 2018
Inhalt
Eine Nacht am Mosquitogulch.
Die Mission Dolores bei San Francisco.
Ein Stiergefecht auf der Mission Dolores.
Gerichtsscene.
Die Entdeckung des Jackaßgulch (Eselschlucht).
Die französische Revolution.
Eine Nacht in einer Californischen Spielhölle.
Vier Tage auf der Bai von San Francisco.
Der Mexikaner in den californischen Minen.
Der Ostindier.
Die Verfolgung.
Das Verhör.
Der Halteplatz der flüchtigen Indianer.
Das Urtheil.
Der vierte Juli.
Des Indiers Flucht.
Eine Nacht am Mosquitogulch.
„Sorgen? — pah, wer kennt hier Sorgen,
Goldgräber ho!“ —
Goldgräber-Lied.
Weit im fernsten Osten der Californischen Goldminen, d. h. soweit, als damals die kühnen Miner nach Osten vorgedrungen waren und Gold gefunden hatten, und gerade dort, wo sich die Wasser der südlichen Flüsse Macalome und Calaveres scheiden, läuft mitten durch die mit dem herrlichsten Baumwuchs bedeckten höchst romantischen Berge, dicht im schattigen Grün versteckt, ein kleiner Bergbach, der sich nur eine kurze Strecke weiter unterhalb, aber fast immer steil und schäumend, in den tief unten dahinbrausenden Süd-Arm des Macalome ergießt, oder eigentlich hineinstürzt.
Diesen kleinen Creek oder Gulch, (wie sich der Californische Name nach und nach durch allgemeinen Gebrauch gebildet, da Gulch eigentlich nur die Schlucht bedeutet durch welche der Bach läuft) hatten die ersten Entdecker desselben, Deutsche, den Mosquitogulch genannt. In dem wildverwachsenen Dickicht, der den unteren Theil des Gulch’s füllte und meist aus einer Art wilder Kirschen und Haselbüsche bestand, hielten sich auch in der Sommerzeit eine ganz ansehnliche Masse dieser lieben Thierchen auf, und spornten die Arbeiter zu neuer Thätigkeit, wenn sie einmal kurze Zeit in dem kühlen Schatten der dort wirklich riesenhaften Cedern und Fichten ausruhen und Spitzhacke und Schaufel, wie sie es nannten, wollten „kalt werden lassen“. Es sind vortreffliche Aufseher die Mosquitos.
Gar arg waren sie übrigens, beiläufig gesagt, bei alle dem nicht. Die Leute die den klaren freundlichen Bach so nannten und ihm dadurch gewissermaßen einen schlechten Namen gaben, hatten nur noch keine Plage gesehen wo wirklich Mosquitos sind — sie waren noch nicht am Mississippi gewesen.
Etwa halbwegs also an dem Waldstrom, soweit vielleicht von seiner Quelle als seiner Mündung entfernt, und an dem Hang des Hügels der an drei Seiten von tiefen Schluchten begrenzt wurde (im Norden von dem Mac Gualome selber, über den hin diese Abdachung eine wundervolle Fernsicht nach seinen nördlichen fichtenbewaldeten Ufern gestattete, während tief von unten herauf sein hohles Brausen, wie er über Felsblöcke und Baumstämme wegsprang, in das Ohr des Lauschenden tönte, — im Osten von einer kleinen nicht so tiefen trockenen Schlucht, und im Westen von dem tief und scharf eingeschnittenen Mosquitogulch, nach dem ein schmaler Pfad etwa zweihundert Schritt lang steil hinab führte) — stand ein kleines Zeltlager oder Camp, wie es in der Minensprache genannt wurde. Die vier kleinen Zelte, drei weiße und ein blaues, waren dicht und heimlich unter wahrhaft großartige Fichten und niedere Eichenbäume hineingeschmiegt, und zur Nachtzeit loderten mächtige Feuer in ihrer Mitte.
Diese vier Zelte wurden von eben so vielen „Compagnien“ (wie die zwei, drei, vier oder mehr, die zusammen arbeiten, genannt werden) bewohnt. Es waren dieß, mit Ausnahme eines einzigen Amerikaners, lauter Deutsche, die meisten sogar mit den Bremer Schiffen Talisman und Reform von Deutschland, einzelne aber auch aus Australien und anderen Theilen der Erde hierhergekommen. Nach echt Californischer Wanderart hatten sie sich hier, meist zufällig, auf dem einsamen aber reizend gelegenen Hügelrücken zusammengefunden.
Etwa hundert Schritt davon stand noch ein anderes Zelt, in welchem eine Compagnie englischer und irischer Miner hauste, und noch weiter hin lagerten ein Pole und ein Deutscher, beide von Texas hier herüber gekommen, unter freiem Himmel. Die Regenzeit war noch nicht eingetreten und die Nächte blieben fast immer sternenhell.
Hast du, lieber Leser, Lust, und nichts Besseres zu thun, so wollen wir einmal den heutigen Abend — es ist ein Sonntag — dort zubringen. Wir finden ein lustiges Völkchen, gute Gesellschaft und jedenfalls einen freundlichen Willkommen.
Es ist etwa vier Uhr Nachmittags und das Lager außergewöhnlich still; was mag aus all den Menschen geworden sein, die es sonst so lebendig machen?
Ja, Freund, wir leben hier fünf englische Meilen von dem nächsten Store oder Provisionsladen entfernt, und da geht von jeder Compagnie wenigstens Einer (gewöhnlich aber auch Mehrere) Sonntags zu Esel, Maulthier oder Pferd — denn diese drei verschiedenen Beförderungsmittel existiren hier sämmtlich — nach „Charles Store“. Dies ist ein in der ganzen Gegend wohlbekannter Platz, wo sich die Miner die nöthigen Provisionen an Mehl, Kartoffeln, Fleisch, d. h. w. für die nächste Woche, und manchmal auch einen kapitalen Rausch für den besonderen Abend holten. Vor Dunkelwerden kommen dann diese meist sehr lustigen Leute selten wieder zurück, ja oft wird es zehn und elf Uhr, und wenn die Esel dann nicht klüger wären als — doch das ist vorgegriffen.
Eigentlich bewegte sich bis jetzt nur eine einzige Gestalt um die Zelte herum — ein Mann in einem rein gewaschenen aber schon alten und oft ausgebesserten roth wollenen Hemd und grauleinenen Beinkleidern, mit dunkelbraunem, lockigem Haar, kleinen aber lebendigen Augen, und breiten, Arbeit gewohnten Händen, man könnte sagen Fäusten. — Er arbeitete mit einem Andern, Namens Panning zusammen. Panning war in Deutschland Kutscher bei einem Grafen „so und so“ gewesen und nach Californien gekommen sein Glück zu machen. Albert hatte einen Ochsenkarren über die Sierra Nevada für Onkel Sam getrieben — er erzählte gern von dieser Fahrt — später war er, glaub’ ich, „freiwillig fortgegangen“, wie es die Ausreißer dort gewöhnlich nannten, oder auch entlassen worden, kurz er befand sich hier oben am Mosquitogulch und „machte gut aus“. — Lieber Leser, Du wirst Dich noch an viele solche Minenausdrücke gewöhnen müssen und darfst nicht jetzt schon den Kopf darüber schütteln.
Albert war eifrig beschäftigt seine Matratzen und Decken, die den Tag über in der Sonne gelegen, wieder ins Zelt zu schaffen, die heute Morgen gewaschenen Kleidungsstücke von der zu diesem Zweck zwischen zwei jungen Eichen ausgespannten Leine zu nehmen, und nachher Holz für den Abend herbei zu schaffen. Er hatte den ganzen Tag schon genäht und ausgebessert und war überhaupt ein ungemein fleißiger Mann und tüchtiger Arbeiter.
Panning und Albert besaßen gemeinschaftlich ein weißes Maulthier.
In dem blauen Zelte regte sichs auch. Der einsame Bewohner desselben, dessen Kleidern ein paar gute Faden grauer Zwirn eben auch keinen Schaden gethan haben würden, lag aber ziemlich faul auf seiner Decke vor dem Zelt, und schaute in den grünen Baumwipfel hinauf. Das Zelt wurde von drei Deutschen, Renich, Haye und Müller — so wollen wir den dritten nennen, denn mein eigener Name ist so verwünscht lang, — bewohnt. Renich und Haye waren nach dem Store — der eine auf, der andere neben Mosquito (wie wir den uns Dreien gehörigen Esel zu Ehren des Gulches tauften,) gegangen, und Müller hätte allerdings immer aufstehn und ein Feuer anmachen können, denn wenn seine beiden Compagnons nach Hause kamen, waren sie hungrig und wollten etwas zu Essen haben. Erstlich aber war nichts zu essen mehr da, denn die letzten vier Kartoffeln und zwei Zwiebeln — der ganze Rest der vorigen Wochen-Provision, etwas fertig gebackenes Brod ausgenommen, hatte eben seine letzte Mittagsmahlzeit gemacht, und dann kannte er auch schon seine Pappenheimer. Die kamen so früh gar nicht, und hatten dann auch immer weit mehr Durst als Hunger. — Wo ein Brauhaus steht, kann kein Backhaus stehen, ist ein altes gutes Sprüchwort.
Vor dem großen Zelte fing eben der einzig Zurückgebliebene „Försterling“ an, Spähne und Laub zusammenzusuchen, das fast ganz niedergebrannte Feuer wieder aufzufrischen. Aber selbst hierbei schien Eigennutz die vorherrschende Leidenschaft (wenn die ungeheure Ruhe, mit der er es that, Leidenschaft genannt werden konnte). Er hatte selber Hunger bekommen und auch einige kalte Kartoffeln von seinem ebenfalls sehr frugalen Mittagsessen übrig behalten, die er sich aufbraten wollte.
Dort hinter den riesigen Fichten und Cedernwipfeln ging jetzt die Sonne unter. Das war ein herrlicher Anblick, wie sie die breitmächtigen Hügelrücken da drüben über dem Fluß mit so zauberisch glühendem Licht übergoß, in dem dunkeln Nadelholz spielte, und die Wipfel der stattlichsten Bäume, die je mein Auge gesehn, mit ihrem letzten Kuß berührte.
Eine heilige Stille lag auf dem Wald — nur leise, leise rauschte der leichte Abendwind in dem blitzend-funkelnden Laub. Wie ein feiner Duft zogen dünne luftige Nebel-Schatten über das aetherreine Firmament, und das dumpfe ferne Brausen des unten dahin schießenden Stromes, zu weit entfernt die süße Ruhe des Ganzen zu stören oder zu unterbrechen, tönte wie ferner Orgelklang in gewaltigen tief in die Seele greifenden Akkorden herauf.
„Na, Gott straf mich, Müller, Sie möchten da wohl heute den ganzen Abend liegen bleiben?“ platzte Försterling endlich heraus. — „Wollen Sie denn nicht dafür sorgen, daß Haye und Renich ein Feuer vorfinden?“
„Bah, die kommen noch lange nicht,“ sagte Müller ziemlich bestimmt, aber doch mit einiger moralischen Zerknirschung, denn sie konnten allerdings jeden Augenblick kommen. Er sprang auch in die Höhe, warf seine Decke an die linke Zeltseite und ging jetzt ernstlich daran, ebenfalls Holz herbei zu tragen ehe es dunkel würde, und die sonst nöthigen Vorbereitungen zu treffen.
Albert hatte indessen sein Abendessen fertig — Albert und Panning theilten sich die Provision immer so ein, daß sie Sonntags auch noch etwas übrig behielten — und erwartete jetzt mit Ungeduld den gewöhnlich um diese Zeit zurückkehrenden Compagnon.
„Auch nicht ein Tropfen Brandy in der Flasche,“ sagte Försterling endlich, als er mit der leeren Flasche aus dem Zelt kam und sie, wenn gleich vergeblich, zuerst gegen das letzte Abendroth am Himmel, und dann, als ob er dem nicht glauben wollte, gegen das jetzt hell und licht aufflackernde Feuer hielt — „haben Sie keinen mehr, Müller?“ —
„Nicht die Spur,“ lautete die wenig Trost bringende Antwort, „der Brandy hält sich hier nicht, Försterling, die Flaschen werden zu oft geschüttelt.“
„O das Schütteln schadet ihm Nichts,“ sagte Försterling, nahm die leere Flasche beim Hals und warf sie so weit er konnte in die trockene Schlucht hinab. Diese war schon ganz mit zerbrochenem Glase bestreut und wurde von den dort manchmal umherstreifenden Indianern auf das sorgfältigste gemieden. „Das verwünschte Umdrehen, das auf den Kopf halten kann der Brandy aber nicht vertragen. Ich wollte wirklich Meier und Hammerschmidt kämen. Wo zum Henker die auch wieder so spät in der Nacht stecken.“
Eine halbe Stunde verging noch, ohne daß sich das mindeste hören ließ. Es war indessen stockdunkel geworden und nicht einmal Mondschein, während der Platz, wo die Zurückkommenden mit den beladenen Thieren, etwa eine halbe Meile weiter aufwärts, durch den Gulch selber mußten, durch die dichten Büsche und mehr noch durch die überall dort gegrabenen Löcher im Dunklen sehr bös zu passiren war.
Endlich horchte Försterling hoch auf:
„So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage.“ „In der allerschönsten Saufcompagnie!“ —
klang es klar und deutlich durch die Büsche.
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