Ardistan und Dschinnistan. Band 1–2 - Karl May - ebook

Ardistan und Dschinnistan. Band 1–2 ebook

Karl May

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Opis

„Ardistan und Dschinnistan” gehört zu den bedeutendsten Spätwerken Mays, in denen er sich immer mehr von seinen abenteuerlichen Reiseerzählungen, durch die er seinen Ruhm erlangte, entfernt und in geheimnisvollen Geschichten seiner Weltanschauung Ausdruck verleiht. Kara ben Nemsi und Hadschi sollen in Dschinnistan für Frieden sorgen und beginnen ihre Reise an den Gestaden des Ussul-Landes. Gemeinsam mit Scheich Amihn und den Dschirbani kämpfen sie nun gegen die räuberischen Banden im Land und ziehen schließlich vereint nach Ard, der Hauptstadt von Ardistan. Als Kara ben Nemsi und sein treuer Gefährte Hadschi Halef Omar in Ard eintreffen, ist es ihre erste Aufgabe, den Mir von Ardistan davon zu überzeugen, dass die Regierung von Dschinnistan ihm freundlich zugetan ist.

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Karl May

Ardistan und Dschinnistan

Band 1–2

Warschau 2018

Inhalt

I

1. Kapitel. Eine Mission.

2. Kapitel. Auf, zum Kampf!

II

3. Kapitel. Von Sieg zu Sieg.

4. Kapitel. Ard.

5. Kapitel. Weihnacht.

6. Kapitel. Nach der Stadt der Toten.

7. Kapitel. Wieder frei.

8. Kapitel. Gegenzüge.

9. Kapitel. Die Schlacht am Dschebel Allah.

10. Kapitel. Schluß.

I

1. Kapitel. Eine Mission.

Allen Lesern unseres lieben »Hausschatz« ein herzliches Grüß Gott! Es tat mir unendlich leid, daß die Reihe meiner für sie bestimmten Reiseerzählungen in unserem Lieblingsblatt unterbrochen werden mußte, denn diese Erzählungen hatten einen tiefen, menschheits-psychologischen Zweck und führten nach einem hohen kulturgeschichtlichen Ziele. Was ich inzwischen weitererzählt habe, ist für diesen Zweck und dieses Ziel von solcher Wichtigkeit, daß ich bitte, es in meinen »Gesammelten Reiseerzählungen« nachzulesen, damit nicht eine Lücke entstehe, die später nicht mehr auszufüllen ist. Es gewährt mir eine aufrichtige Freude, nun wieder an der alten Stelle und zu den alten Freunden sprechen zu können, und ich bitte um die Erlaubnis, es auch wieder in der alten, ungekünstelten Weise tun zu dürfen, die vom Herzen zum Herzen spricht!

Meine neue Erzählung beginnt in Sitara, dem in Europa fast gänzlich unbekannten »Land der Sternenblumen«, von dem ich im »Reiche des silbernen Löwen« erzählt habe. Die Sultanin dieses Reiches ist Marah Durimeh, die allen meinen Lesern wohlbekannte Herrscherin aus uraltem Königsgeschlecht. Zu Sitara gehört auch das in meinem Buche »Babel und Bibel« erwähnte, weit ausgestreckte Gebiet von Märdistan mit dem geheimnisvollen Walde von Kulub, in dessen tiefster Schlucht, wie man sich heimlich erzählt, die Geisterschmiede liegt, in der die Seelen durch Schmerz und Qual zu Stahl und Geist geschmiedet werden. Ein späterer, hochinteressanter Ritt wird uns Gelegenheit geben, diesen Wald und diese Schmiede kennen zu lernen. Für heut verzichten wir auf diesen Ort der Marter und der Pein und wandeln durch die Gärten von Ikbal, um alles Leid der Erde zu vergessen.

Ikbal ist eine der schönsten Residenzen Marah Durimehs. Ihre fürstliche Wohnung, mehr einem Tempel als einem Schlosse gleichend, hebt sich wie die aus weißem Marmor gedichtete Strophe eines salomonischen Psalmes hell, klar, rein und leuchtend von dem dunklen Hintergrunde der himmelanstrebenden Berge ab. Diese liegen im Norden. Nach Süden dehnt sich die blaue, von silbernen Fäden durchzogene See, leise atmend, wie ein schlafendes, glückliches Kind, welches im Traume lächelt. Und wie köstliche, schimmernde Perlen, die von einer reichen, kunstsinnigen Fee aus der Meerestiefe emporgeholt und am Ufer in grünende Gärten gebettet wurden, so haben sich die Häuser der Untergebenen dem Palaste der geliebten Gebieterin zu Füßen hingestreckt. Die Seeluft mildert die Glut der strahlenden Sonne. Schattige Wege führen vom Tale zu Berge, vom Berge zu Tal. Goldige Früchte winken aus dunklem Laub. Jede Bewegung der Luft spendet süßen Blumenduft. Ed Din, der Fluß, tritt, unberührt von dem Schmutze des täglichen Lebens, wie eine Offenbarung aus höheren Welten aus dem Gebirge hervor, schließt Ikbal in zwei schwellende Arme ein und tritt dann in die See, um ihre Flut zu läutern und zu klären.

Der kleine Hafen von Ikbal ist mit der Außenwelt nur durch einen einzigen größeren Segler verbunden, welcher »Wilahde« heißt und immer segelfertig gerichtet ist. Dieses Schiff gleicht einer Arche. Sein Bau ist uralt. Es hat die Formen und die Linien vergangener Jahrtausende. Sein Tau- und Segelwerk mag im ältesten Babylonien oder Ägypten erfunden worden sein. Aber man hat trotzdem keinen Grund, irgend etwas daran zu tadeln, denn alles, was man sieht, ist genau dem Zwecke, dem es dienen soll, entsprechend eingerichtet. Wir werden diesem Fahrzeuge in meinen späteren Erzählungen noch oft begegnen; darum verzichte ich jetzt darauf, es genau zu beschreiben. Ebenso wird es Sache meiner künftigen Berichte sein, das Land Sitara und die Stadt Ikbal eingehender zu schildern. Für heute habe ich sie beide nur kurz zu erwähnen, weil sie den Ausgangspunkt der vorliegenden Erzählung bilden. – – –

Ich war mit meinem Hadschi Halef Omar, dem obersten Scheik der Haddedihn vom Stamme der Schammar, zu Marah Durimeh gekommen, um für einige Zeit ihr Gast zu sein und bei dieser Gelegenheit das »Land der Sternenblumen« noch besser kennen zu lernen, als es mir bisher möglich gewesen war. Sie hatte mich in einer Weise aufgenommen, als ob ich ein naher Verwandter, ja, als ob ich ein Sohn von ihr sei. Wir wohnten nicht in der Stadt, sondern bei ihr im Palaste, ich in demselben Stockwerke mit ihr, Halef aber im Erdgeschoß bei den dienenden Geistern. Sie liebte auch ihn. Sie war von seiner fast beispiellosen Liebe und Treue gerührt. Sie beglückwünschte mich, ihn gefunden und mir zum Begleiter erzogen zu haben. Aber sie tadelte an ihm, daß er sich keine Mühe gab, seine Seele in Geist umzusetzen, und sie hielt gerade das, was andere an ihm lobten, nämlich seine Liebenswürdigkeit, für seine größte Schwäche. Sie, die unvergleichliche Menschenkennerin, konnte keinen Menschen für entwickelt halten, der nicht die Kraft besaß, über die Forderungen seiner körperlichen Anima hinauszukommen.

Alle diejenigen, welche die vier Bände: »Im Reiche des silbernen Löwen« gelesen haben, werden sich gerne an Schakara, die »Seele«, erinnern, welche Marah Durimeh damals zu uns sandte, um uns gegen unsere Feinde beizustehen. Diese Schakara, die mich vom beinahe sicheren Tode errettete, war ein besonderer Liebling ihrer Herrin, die sie nur dann verlassen durfte, wenn es sich um ganz besonders wichtige Dinge handelte. Sie war auch jetzt bei ihr in Ikbal und sorgte für mich in genau derselben schwesterlich aufopfernden Weise wie damals, als ich krank am Boden lag.

Unsere Abreise war auf morgen festgesetzt. Am Nachmittag waren wir, nämlich Marah Durimeh, Schakara und ich, noch einmal durch die Stadt und ihre Umgebung gewandelt, um die mir liebgewordenen Plätze aufzusuchen. Dann gingen wir nach der hinter dem Palaste liegenden, üppigen Weide, wo unsere beiden Pferde grasten, bei deren Namen sich jeder meiner Leser herzlich freuen wird, ihnen wieder zu begegnen. Es waren die beiden Rappen Assil Ben Rih und Syrr, der erstere für Halef und der letztere für mich. Wer diese beiden edelsten der Pferde, die es gegeben hat, noch nicht kennt, der wird sie im Verlaufe unserer Erzählung kennen lernen. Sie hatten uns aus fernem Lande bis hierher getragen und sollten uns auf demselben Wege wieder zurückbringen. So dachten wir. Aber es sollte anders kommen, als wir uns vorgenommen hatten.

Später, einige Zeit vor Sonnenuntergang, saßen wir drei auf dem hohen Söller beim Abendessen, welches nicht aus Fleisch, sondern nur aus Brot und Früchten bestand. Unter uns im Hof saß Halef bei einer Anzahl von Dienern und Dienerinnen. Er erzählte von seinen Abenteuern. Er tat das in seiner wohlbekannten, bombastischen, nach Beifall hungrigen Weise. Aber der Erfolg, den er an jedem anderen Orte einzuheimsen verstanden hatte, hier fiel er aus. Man hörte ihm ruhig zu, kein Lob erscholl, kein Beifall ließ sich hören. Ein nachsichtiges Kopfnicken oder gar ein ironisches Lächeln, weiter gab es keinen Dank. Da stand er von seinem Platze auf, warf die Arme verächtlich in die Luft, ließ seine Zuhörer sitzen und ging zum Tor hinaus.

Wir achteten nicht auf ihn und diese seine wohlverdiente Niederlage. Wir hatten nur Augen, nur Sinne für die vor uns liegende, köstliche Gotteswelt, die im Glanze der untergehenden Sonne fast überirdisch leuchtete und glühte. Ganz draußen im äußersten Süden, da, wo das Meer sich mit dem Himmel einte, gab es einen kleinen, sich aber vergrößernden, weil immer näher kommenden Punkt, der bald wie ein Blitz aufzuckte, bald goldig schimmerte, bald silbern funkelte, bald in einer oder in mehreren der sieben Regenbogenfarben flackerte.

»Ein Bote kommt,« sagte Schakara, indem sie mit ausgestrecktem Arm nach diesem Punkt deutete.

Marah Durimeh richtete den Blick nach der bezeichneten Richtung, ließ ihn dort nur einen Augenblick lang ruhen und nickte dann näher bestimmend:

»Ja, ein Bote, aber kein fremder, sondern der unserige.«

»Welcher?« fragte Schakara.

»Der mir die Antwort bringt vom 'Mir von Dschinnistan.«

Was für Augen hatte diese Frau, deren Alter so groß war, daß man es gar nicht mehr bestimmen konnte! So sehr ich die meinigen anstrengte, ich konnte doch nur ahnen, aber nicht deutlich bemerken, daß dieser in der Sonne schillernde Punkt eigentlich ein weißes Segel war. Sie aber sah das Boot und sah wohl auch den Mann, der es regierte! Und ebenso wie die Schärfe ihres Auges verblüffte auch der Name, den sie nannte. Der 'Mir von Dschinnistan! Welcher von meinen Lesern hat schon einmal von diesem berühmten Manne, von diesem Beherrscher eines großen, hochwichtigen Reiches gehört? Wohl keiner! Auch ich war ohne Ahnung von seiner Existenz, bis ich Marah Durimeh kennen lernte und aus ihrem eigenen Munde nach und nach die Namen der zahlreichen Gebiete erfuhr, über welche sich ihr persönlicher Einfluß erstreckte. Der 'Mir von Dschinnistan stand unter ihrem ganz besonderen Schutz. Der Bote, der sich jetzt sehr schnell dem Hafen näherte, weil günstiger Wind ihn trieb, war bei ihm gewesen. Die Kunde, die sie von ihm erwartete, schien von großer Wichtigkeit für sie zu sein, denn sie stand von ihrem Sitze auf, beschattete mit der Hand ihre Augen, bog sich über die Brüstung des Söllers hinaus und verfolgte das schwimmende Boot wohl eine ganze Minute lang mit gespannter Aufmerksamkeit. Dann sagte sie:

»Ja, er ist es!« Und mit einem langen, tiefen Atemzuge fügte sie hinzu: »Nun wird es sich entscheiden!«

Dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz zurück, sah tief nachdenklich vor sich nieder, hob dann den Blick zu mir empor und fragte:

»Mußt Du heim, Sihdi, oder mußt Du nicht heim?«

»Ich muß nie,« antwortete ich.

»Das weiß ich,« nickte sie mir freundlich zu. »Vielleicht ist es gut, daß Du noch bei uns bist, daß Du uns noch nicht verlassen hast.«

»Gut? Für wen?« fragte ich.

»Für Dich, für mich und besonders auch für den 'Mir von Dschinnistan.«

Da war ich es nun, der von seinem Sitze aufsprang und überrascht ausrief:

»Für uns und auch für ihn? Wieso? Das ist ein Rätsel. Ich bitte, es zu lösen.«

Sie richtete ihre Augen groß und voll auf mich, als ob sie mit diesem Blick mein ganzes, inneres Wesen durchdringe, und antwortete dann:

»Das größte aller Rätsel bist Du selbst. Indem Du dieses lösest, lösest Du auch das des 'Mir von Dschinnistan. Setze Dich! Und warte, bis ich mit dem Boten gesprochen habe!«

Das war so ihre Art, Problem mit Problem zu beantworten. Ihr größtes Glück bestand darin, menschheitsinnerliche Werte zu verschenken, aber sie warf sie nicht billig hin, sondern man hatte sie durch eigenes Nachdenken zu finden und sich anzueignen. Daß ich ein Rätsel bin, versteht sich ganz von selbst. Jeder Mensch ist eines. Wer das erkennet, hat schon mit der Lösung begonnen. Die Antwort auf die Menschheitsfrage suchen, heißt leben. Wer da stirbt, ohne gesucht zu haben, der hat nicht gelebt, sondern nur vegetiert und wird Kompost, weiter nichts!

Das, was zunächst ein Punkt gewesen war, hatte sich inzwischen vergrößert. Es erschien als weißes Segel. Dann sah man, daß es drei Segel waren. Später bemerkte ich, daß das Boot nicht einen, sondern zwei Masten hatte, an welche die Segel kreuzweise gezogen waren. Eine solche Stellung der Leinwand hatte ich noch nie gesehen; aber sie war außerordentlich praktisch. Das Vordersegel schraubte sich als Luftbohrer in die Ferne, und die beiden Hinterbootsegel standen wie ein Pflug, mit scharfer Schneide nach vorn, nach hinten aber breit offen, so daß nicht der geringste Teil des Luftdruckes verlorengehen konnte. Bemannt war das Boot mit nur zwei Hilfspersonen, welche die Leinen und das Steuer führten; ihr Gebieter aber stand ganz vorn am äußersten Bug. Hoch aufgerichtet, weiß gekleidet, den einen Arm stolz in die Hüfte gestemmt, mit nachflatterndem Turbantuch, glich er in der gegenwärtigen Beleuchtung weniger einem gewöhnlichen, irdischen Boten, sondern vielmehr einem jener überirdischen Wesen, von denen die uralte, orientalische Sage erzählt, daß sie mit ihren Fahrzeugen ganz plötzlich aus der Tiefe des Meeres auftauchen und an den Wohnorten der Menschen landen, um ihnen den Gruß der Ewigkeit und den Segen des Himmels zu bringen.

Und jetzt, da sich das Boot dem Hafen näherte, kam der Augenblick, an dem die Sonne versank. Durch all das Licht, welches auf den Meeresfluten lag, zuckte ein durchsichtiger, leicht violetter Schatten. Die Heiterkeit des goldenen Tages verwandelte sich mit einem Schlage in den Ernst des nahenden Abends. Von der nahen Moschee erscholl der Ruf des Mueddin:

»Heeehhh alas salah! Heeehhh alal felah! Auf zum Gebete! Auf zum Heile! Die Sonne hat sich in das Meer getaucht! Die Zeit des Unterganges ist da, und mit ihr die Stunde des Gebetes. Gott ist groß! Gott ist groß! Gott ist groß!«

Von dem freien Platze herauf ertönte die Stimme des Vorbeters:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichts! Dir wollen wir dienen, und zu Dir wollen wir flehen, auf daß Du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die Deiner Gnade sich freuen – – – «

Weiter konnten wir hiervon nichts mehr hören, denn nun fielen die ehernen Stimmen der christlichen Glocken ein und zogen jeden anders schwingenden und anders klingenden Ton in ihr herrliches Abendgeläute. Da stand Marah Durimeh auf und wir mit ihr. Wir falteten die Hände. Sie aber deutete nach dem Turme, wo man läutete, und sprach:

»Dies ist der Ton, der durch das Weltall klingt, Der einzige Ton, der Glück und Frieden bringt. In ihm verschwindet aller Erdenstreit; Gepriesen sei der Herr in Ewigkeit!«

In diesem Augenblicke hatte das Boot den Hafen erreicht. Der Bote sah seine Herrin auf dem Söller stehen. Er grüßte mit beiden Armen zu ihr herauf. Dann kniete er da, wo er gestanden hatte, nieder und faltete die Hände, um ebenso, wie alle Welt, zu beten. Der Eindruck, den dies machte, läßt sich gar nicht beschreiben. Diese ganze, unvergleichliche, erdenferne Örtlichkeit! Diese am Himmel und über die Erde hinzuckenden, mehr und mehr ersterbenden Tinten! Die dunkle Mauer des hinter uns drohenden Gebirges! Die immer magischer und mystischer werdende Färbung der See! Dieses Glockengeläute, und zwar an einem Orte, den außer mir gewiß noch kein europäischer Christ betreten hatte! Vor allen Dingen aber die hoch aufgerichtete Gestalt unserer Gebieterin! Diese Stirne, dieser Nacken, dieser Mund, diese Augen! Wie oft hatte Hadschi Halef, wenn er ernstlich über sie nachdachte, zu mir gesagt: »Sie ist kein gewöhnliches Weib; sie ist auch keine Königin. Sie ist ein Dschinni, eine Seele, ein Geist. Ja noch mehr: sie ist nicht nur Seele oder Geist, sondern sie ist die Herrin und die Gebieterin aller Seelen und aller Geister, die es gibt. Allah segne sie!«

Er versuchte sich in dieser ihm eigentümlichen Weise über sie klar zu werden, und ich muß gestehen, daß ich ihm niemals widersprochen habe, so oft er es auch tat. Und gerade jetzt, in diesem Augenblicke, überkam auch mich ein Etwas, was mehr als eine Ahnung war, daß in dieser unvergleichlichen Frau Gedanken, Gesinnungen und Kräfte lebten, die meine Schulpsychologie unmöglich zu fassen vermochte. Es war mir zumute wie einem unbefangenen, gläubigen Kinde, welches zum erstenmal in seinem Leben in das Theater kommt und nicht im geringsten daran zweifelt, daß die Zauberwelt, die sich vor seinen Augen entrollt, in Wirklichkeit vorhanden ist. Die Menschheitsseele ist in jedem Menschen tätig, in vielen einzelnen sogar in ganz besonderer Weise, in Marah Durimeh aber so, wie sonst wohl niemals wieder. Und der Mann, der da unten an der Spitze seines Bootes im Gebete kniete, kam mir vor wie ein Abgesandter der Menschheit, die nach ihrer Seele sucht und nach Rettung aus Leibesgefahr.

Nun verstummten die Glocken. Das Gebet war vorüber; die Dämmerung stieg von den Bergen. Der betende Mann im Boote erhob sich und lenkte sein Fahrzeug an das Ufer. Dort stieg er aus und verschwand zwischen den Häusern, auf dem Wege, der zu uns führte. Nach kurzer Zeit wurde gemeldet, daß er da sei und darum bitte, die Herrin sprechen zu dürfen. Sie entfernte sich, um seinen Wunsch zu erfüllen. Ich blieb mit Schakara allein. Diese hatte in ihrer schwesterlich fürsorglichen Weise den Wunsch, mich vorzubereiten. Sie sagte:

»Vielleicht wäre es besser, Du hättest uns schon verlassen. Ich befürchte, die Herrin gibt Dir Schweres zu tun!«

»Wohl gar Unmögliches?« fragte ich lächelnd.

»Nein; das tut sie nicht.«

»So sorge Dich nicht, o Schakara! Seit sie den 'Mir von Dschinnistan genannt hat, hoffe und wünsche ich sogar, daß ich noch nicht abzureisen brauche.«

»Reisen wirst Du auf jeden Fall!«

»Aber wohin, wenn nicht heim?«

»Zum 'Mir.«

»Zu ihm?« fragte ich, ebenso erfreut wie erstaunt.

»Ja, zu ihm. Du warst noch nie in Dschinnistan. Aber Du weißt, wo es liegt?«

»Ja.«

»Und wie außerordentlich unzugänglich es ist?«

»Auch das. Es gibt nur zwei Wege: entweder vom Balkasch-See aus, und der ist entsetzlich weit; oder man reitet durch das ganze Reich von Ardistan, und der ist wohl ebenso weit, aber jedenfalls bequemer.«

»Gefährlicher!« warnte sie ernst.

»Wieso?« fragte ich.

»Kennst Du den 'Mir von Ardistan?«

»Nein. Aber gehört habe ich von ihm.«

»Was?«

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