Wanda - Karl May - ebook

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Karl May

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Opis

Wanda – oder „wilde Polka” ist seit Kindertagen dem Baron Eginhardt von Säumen versprochen, den sie aber nicht liebt. Aber die örtlichen Schornsteinfeger und Feuerwehrmann Emil Winter findet heraus, dass der angebliche Baron ein Hochstapler und Erbschleicher ist. Ihm gelingt es zweimal, Wanda aus Lebensgefahr zu retten, und letztlich von Säumen alias Morelly als Schurken zu überführen und dingfest zu machen. Wird sein Wunsch nach einer falschen Überzeugung Baron erfolgreich, das Herz des geliebten Vandy gewinnen?

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Karl May

Wanda

Warschau 2018

Inhalt

1. Die Auction

2. Im Felsenbruch

3. Auf der Fährte

I

Die Auction

Unter allen Gesellschaften der Stadt war »die Erheiterung« die beliebteste. Zwar gehörten ihre Mitglieder ohne Ausnahme dem gewöhnlichen Handwerkerstande an; aber bei all' ihren Zusammenkünften und Vergnügungen herrschten anständiger Ton und löbliche Sitte, und da die dem einfachen Bürgersmanne mehr als dem Höhergestellten eigenthümliche Gemüthlichkeit ihre Anziehungskraft auch nach oben äußert, so ließen sich sogar die Honoratioren der Stadt gern und öfters herbei, in dem Kreise der jungen, munteren Leute zu erscheinen und sich von ihnen unterhalten zu lassen.

Hochgespannte, in lederne Etiquette gekleidete Ansprüche durfte man freilich nicht mitbringen und noch weniger zu irgend einem kernlustigen Einfalle mit schulmeisterlicher Pedanterie den Kopf schütteln. Wer kam, der mußte mitmachen, und wer nicht einstimmte, der erhielt ohne Weiteres sein Entrée zurück und durfte gehen. Und gerade dieses energische Ausscheiden aller störenden Elemente hatte dem Verein seine Beliebtheit erworben, sicherte ihm die Theilnahme der Verständigen und machte sein Local zum Versammlungsorte all Derer, welche den Staub der Arbeit oder den Zwang belästigender Formen einmal abschütteln und fröhliche Menschen sein wollten.

Heute nun feierte »die Erheiterung« ihr Stiftungsfest, und zahlreiche Einladungen waren ausgeschrieben und auch angenommen worden. Sogar der Herr Polizeirath hatte zugesagt und um die Erlaubniß gebeten, seinen hohen Gast, den Herrn Baron von Säumen mitbringen zu dürfen. Dieser Letztere hatte einen langjährigen Aufenthalt in Italien gehabt und war nach dem kürzlich erfolgten Tode seines Vaters in die Heimath zurückgekehrt, um sein Erbe anzutreten. Der Letzte Wille des Verstorbenen hatte ihn einem Fräulein von Chlowicki verlobt, welche mit seiner Mutter eine der in der Nähe der Stadt gelegenen Villen bewohnte; er war deshalb nach erfolgter Erbschaftsregulirung gekommen, um die junge Dame, die er vorher noch nie gesehen, kennen zu lernen und hatte bei dem Polizeirath, einem alten pensionirenden Sicherheitsbeamten, der in einer Art von Verwandtschaft[ ]mit ihm stand, gastliche Aufnahme gefunden.

Frau von Chlowicki war nach der Aussage der wenigen Personen, denen die seltene Gunst ihres Anblickes zu Theil geworden war, eine alte, kränkliche, unausstehlich hochmüthige Dame, deren einzige Beschäftigung in dem Studium der Vorrechte ihres Standes bestand. Zur Abwechslung peinigte sie die Dienstboten, beklagte den immer mehr an den Tag tretenden Verfall des Adels und raisonnirte über ihre Stieftochter, deren Erziehung sie, obgleich sie dieselbe in höchst eigener Person geleitet hatte, eine durchaus verkehrte und verfehlte nannte. Sie verließ nur äußerst selten ihre Wohnung, und deshalb gab es in der Stadt nur wenige Personen, welche sich rühmen konnten, sie gesehen zu haben.

Eine desto öfter gesehene Erscheinung war die Tochter, Fräulein Wanda, oder, wie sie allgemein genannt wurde, die wilde Polin.

Als sie vor mehreren Jahren die Residenz mit ihrem jetzigen Aufenthaltsorte vertauscht hatte, war eine rasch um sich greifende Epidemie unter der jungen Männerwelt der Stadt ausgebrochen, welche der alte bißfertige Doctor Kühne mit dem Namen Wandamanie bezeichnet hatte. Da aber das schöne Mädchen auch nicht die geringste Notiz von dieser höchst interessanten Krankheitsform nahm und selbst die hoffnungslos Darniederliegenden vollständig und consequent ignorirte, so verwandelte sich der Paroxismus nach und nach in ein Toggenburgisches Schmachten in die Ferne, und Wanda war Königin, ohne daß es Einer ihrer Unterthanen gewagt hätte, ihr eine officielle Huldigung darzubringen.

Von der Natur mit den herrlichsten Gaben ausgestattet, glänzte sie als leuchtendes aber unberechenbares Phänomen am gesellschaftlichen Himmel. Während Andere ruhig ihre Bahnen wandelten, flimmerte sie in den verschiedensten Lichtern, zuckte blitzähnlich von einem Punkte zum anderen, warf oft die ganze Planetenstellung über den Haufen und hätte auch den kaltblütigsten Astronomen zur Verzweiflung bringen können. Für sie gab es keine dehorsielle Unmöglichkeit. Sie ritt trotz eines Husarenleutnants, schoß mit den Jägerburschen um die Wette, betrat ganz unerwartet den Fechtboden und trieb mit dem Schläger in dem kleinen, weißen Fäustchen Jedmänniglich in die Enge, fuhr mit Vieren im sausenden Galopp über Haide und Stoppel, durch Dick und Dünn, erschien bei Tagesgrauen, wenn die ehrbaren Spießbürger sich noch in den Federn streckten, hochgeschürzt auf dem Turnplatze der Feuerwehr, um an Reck, Barren, Bock und Kletterstange ihre Meisterschaft zu bewähren, tanzte, sang und deklamirte prächtig, spielte das Piano mit ungewöhnlicher Fertigkeit, schien in jeder Sprache, in jeder Kunst und Wissenschaft zu Hause und wußte auch in die steifsten Zirkel Leben und Bewegung zu bringen.

Trotz dieser scheinbar unweiblichen Vielseitigkeit und Selbstständigkeit war jedem ihrer Worte, jeder ihrer Thaten, ihrem ganzen Wesen und Leben eine so bezaubernde Anmuth, eine so mädchenhafte Reinheit, ein so imponirender Adel aufgeprägt, daß es außer der Stiefmutter Niemanden gab, der auch nur die leiseste Spur eines Anstoßes zu entdecken gewußt hätte, und wie sie von der Männerwelt vergöttert wurde, so stand sie bei den Frauen in der unbeschränktesten Achtung und Ehrerbietung. Wo die Armuth ihre düsteren Schatten über ein Familienleben warf, wo die Krankheit drohend an die Thüren klopfte, wo irgend ein Leid den fröhlichen Schlag eines Menschenherzens hemmte, da erschien sie gewiß, um Rath, Trost und Hilfe zu bringen, und es war deshalb kein Wunder, wenn sie nicht blos von ihren Schutz- und Pflegebefohlenen, sondern auch von Anderen, die von ihrem stillen, liebevollen Walten Kenntniß nahmen, wie ein Engel verehrt wurde.

Sie war natürlich zu dem heutigen Feste auch geladen, und da man ihren Verlobten erwartete, so glaubte man auch auf ihr Erscheinen rechnen zu dürfen. Aber fast wäre das erwartete Vergnügen gestört worden. Kurz vor Beginn der Festrede brach nämlich in einem Dorfe der Nachbarschaft Feuer aus, und auf den ersten Schreckensruf schien es, als wolle die ganze, zahlreiche Versammlung auseinander stürmen. Bald jedoch überzeugte man sich, daß der Ort fast eine Meile entfernt und also keine Ursache zu einer so gewaltsamen und unwillkommenen Störung vorhanden sei. Nur zwei Mitglieder des Vereins, der Schmiedemeister Anton Gräßler und der Schornsteinfeger Emil Winter, mußten als Mitglieder der Feuerwehrsection für Auswärts dem Rufe des Signalhornes folgen; die Anderen aber kehrten in den Saal zurück und gaben ihre Theilnahme nur durch ein zeitweiliges Ausschauen nach dem fernen Brande kund.

So verging die Zeit. Längst schon war die städtische Löschmannschaft an der Unglücksstätte angekommen und sah ihre Bemühungen von allmählich immer größerem Erfolge gekrönt. Blutig roth glänzte der Himmel, und die über der Brandstelle sich sammelnden Wolken tauchten ihre Säume in die aufsteigenden Gluthen. Lange hatte das Gemäuer dem Feuer widerstanden; jetzt aber stürzte es mit lautem Getöse zusammen. Dichter, schwarzer Rauch wirbelte aus dem zischenden Herde auf, und wie die Strahlen einer riesigen Fontaine zuckten und sprühten die Flammen mit weithin leuchtender Helle zum letzten Male empor. Dann sanken sie in sich zusammen; der Himmel färbte sich dunkler, und nur hier und da leckte eine gefräßige Zunge an einem noch unverkohlten Balken.

»Gott sei Dank, itzt is endlich vorbei!« sagte tief aufathmend der Schmied, welcher als Spritzenmeister das Mundstück des Wasserschlauches geführt hatte. »Das war mein' Seel' keen Zuckerlecken; ich bin wie gerädert.«

»Na, Du Riesenkind wirst das Bissel Anstrengung nich gar sehr merken, aber wie es unserm Winter dort zu Muthe is, das möchte ich wissen. Der hat fast Uebermenschliches gethan, und ohne ihn hätten die armen Leute elendiglich umkommen müssen.«

»Hast recht, alter Cumpan. Das Herz hat mer mein' Seel' im Leibe gezittert, als ich den braven Jungen so hoch da droben mitten durch Rauch und Flammen über die Firste hinbalanciren sah. So eenen verwegenen Gesellen gibt's hundert Meilen in der Runde nich wieder, und er hat sich heut wenigstens ein halbes Dutzend Orden und Medallgen verdient. Na, wenn ich Fürst wäre, oder gar König, so wüßte ich, was ich zu machen hätte; da ich aber leider nur een simpler Hufnagler bin, so kann ich ihm weiter nischt, als nur eenen ehrlichen, gutgemeinten Händedruck appliciren. Und den soll er ooch gleich haben!«

Er kletterte über die herumliegenden Trümmer und schritt auf den Schornsteinfeger zu, welcher abgesondert von der Menge an einem Baume lehnte.

»Emil, alter Schwede, wie schauts denn aus, da Dir? Du mußt doch mein' Seel' verbrannt sein wie 'ne Weihnachtsstolle, die von Pfingsten bis zu Ostern im Backofen gestanden hat!«

»Danke, Anton. Es ist nicht so schlimm, wie Du denkst. Meine schwarze Staatsmontur hat freilich einige Schandflecke davongetragen; die Haut aber ist so ziemlich unverletzt geblieben. Du hast mich ja erst gehörig eingeweicht, bevor ich das Kunststück unternahm.«

»Na, schönes Kunststück! Wenn es gilt, 'nen Tanzsaal auszuräumen, oder ein Dutzend Baldrians zusammenzuhauen, oder meinswegen ooch mit eenem zweespännigen Fuder Erdäpfeln auszureißen, da bin ich derbei. Aber wie 'ne Katze off brennenden Dächern 'rumklettern und drei Menschen, Eenen nach dem Andern, dem Bruder Vesuvius aus dem Rachen reißen, dazu bin ich nich gemacht, das kann nur so een verteufelter Kerl, wie Du, zu Stande bringen. Ich hab's ja immer gesagt, Du bist ein tüchtiger Kerl in allen Stücken, und wir sind Alle froh, daß Du wieder, da uns bist.«

»Laß es gut sein. Ich habe nur gethan, was jeder andere brave Essenkehrer auch thun würde. Freilich wollte es mir erst nicht so recht passen, daß ich unseren schönen Ball im Stiche lassen mußte; es ist ja der erste, dem ich wieder, dawohne; jetzt aber bin ich ausgesöhnt mit der Störung. Du glaubst nicht, Anton, wie wohl es Einem thut, wenn man sich sagen kann: »Hast heut' rechtschaffen deine Pflicht gethan!«[«]

»Bist alleweil ein guter Junge, Emil! Und was den Ball betrifft, so is er uns ja noch gar nich davongeloofen. Wenn wir itzt gleich anspannen, so kommen wir ganz schön zu Rechte. Es gibt so wie so nischt mehr für uns zu thun. Du, guck 'mal da 'nüber. Ich gloobe, die suchen Dich. Es is der Pastor und der Schulze.«

»Du hast Recht. Aber ich bin kein Freund von Complimenten. Spanne rasch an und komme nach; ich werde vorangehen. Ich habe nicht allein gearbeitet; Ihr habt alle Dank verdient.«

»Na, so loof nur zu. In zehn Minuten haben wir Dich eingeholt.«

Der Schornsteinfeger schlich sich durch die Gärten und suchte die Straße zu gewinnen, welche nach der Stadt führte. Als er sie erreicht hatte, schritt er leichten Fußes vorwärts. Er mochte die Seligkeit, welche er über die Rettung dreier Menschen empfand, nicht durch störende Dankesworte entweihen lassen und gab sich den wohlthuenden Gefühlen seines Innern hin, bis er das laute Rollen der herannahenden Spritze hinter sich vernahm.

»Halloh, Emil, bist Du's? Da sind wir. Komm, steig' uff. In eener halben Stunde sind wir in der Stadt; unsre Eglipasche fährt rasch. Da sehen wir zuerst, wie's im Saale ausschaut, und dann rennen wir eheeme, stecken die Arme in den Frack und holen das Versäumte doppelt nach. Vorwärts, Christian, und een Bischen laut!«

Das Sechsgespann donnerte im scharfen Trabe weiter[ ]- und kaum war die halbe Stunde vorüber, so hielt die Spritze mit der darauf hockenden Mannschaft vor dem Gasthause.

Die beiden Männer sprangen ab und traten in den Hausflur.

Hier kam ihnen der Wirth entgegen.

»Seid Ihr wieder,da? Ist's nieder?«

»Ja. Wie sieht's dem droben aus, Gevatter?«

»Possierlich genug! Der Thomas hat wieder,'was Schönes ausgeheckt; er verauctionirt die Weibsen. Macht, daß Ihr 'nauf kommt, wenn Ihr noch Eene haben wollt. Umziehen könnt Ihr Euch nachher ooch noch.- Höre Emil, der Buchhändler hat das Geld für Dich geschickt; ich hab's drin liegen, wenn Du's haben willst.«

»Nachher; halte nur reinen Mund. Es braucht hier Niemand zu wissen, was ich in meinen Feierstunden treibe!«

Aus den geöffneten Flügelthüren tönte ihnen lustiges Lachen entgegen, welches eine laute, um Ruhe bittende Stimme zu durchdringen strebte.

»Silentium, meine Herrschaften. Si- Si- Silentium, was so viel heeßt als: Wer fertig is mit Lachen, der mag sich den Bauch wieder,zurecht schieben; denn es wird gleich wieder,losgehen. Also drei Thaler,zum zweeten Male; drei Thaler,zum dritten Male,,zum dritten und letzten Male, Pumps! Der Herr Cordus jneis Heinemann aus,Dresden, welcher heut auf Grund eenes Gevatterbriefes in unsrer guten Stadt verweilt, zahlt für die Frau Schmiedemeisterin Anton Gräßler, welche bisher ohne Gevatterbrief anwesend gewesen ist, drei Thaler. Kassirer, hier ist das Geld!«

»Meine Frau verkooft?« rief der Schmied mit seiner tiefen Baßstimme in die von Neuem lachende Versammlung hinein. »Und für drei Thaler? Ihr seid nicht recht gescheit; so viel habe ich doch selber nich für sie gegeben.«

»Schadet nischt, Anton. Nimmst den Profit und erstehst Dir eene Bessere. Erlooben die verehrtesten Herrschaften, daß ich meiner Pflicht als Auctionater genüge, indem ich von dem Nothwendigen in Kenntniß setze. Er hat wegen des Feuers fortgemußt und weeß also nich, was hier eegentlich,losgeht. Wie steht es denn mit dem Brande?«

»'s is aus; kannst's nachher ausführlicher hören. Erkläre mir nur erst die Rebellion, die Du angerichtet hast, alter Schabernack.«

»Keine Beleidigung nich, Anton; ich bin nich Schuld, daß Dir Deine Gustel abhanden gekommen is; denn ich habe Dich wahrhaftig nich verleitet, in die Feuerwehr zu treten und jedem glimmenden Cigarrenstummel nachzuspringen. Also, off meinen Vorschlag hat der Verein den Beschluß gefaßt, alle anwesenden Damen zu verauctioniren. Jede dieser Damen gehört Dem, welcher sie ersteht, für die Dauer des heutigen Abends an, muß ihm beim Dankeswalzer eenen Kuß geben, darf ohne seine Erloobniß mit keenem Andern tanzen, geht mit ihm zur Tafel und muß ihm ooch gestatten, sie nach Hause zu begleiten. Diejenige, für welche das Meiste bezahlt wird, ist Ballkönigin; ihr Herr wird König, und dann errichten die Majestäten eenen Hofstaat, mit dessen Hilfe das Programm entworfen wird. So, und nun mach nur, daß Du heem kommst und eenen andern Gottfried anziehst. Du siehst ja aus, als wenn Du een halbes Jahr im Teiche gelegen hättest und nachher noch eenige Monate lang als Froschreuse in Gebrauch gewesen wärest.«

»Wie viel haste denn noch?«

»Grad noch een Dutzend.«

»Na, da kann ich doch nicht erst heeme gehn; denn wenn ich eenmal in's Parfümiren komme, so werde ich vor dem ersten Advent nich fertig, und dann habe ich das Nachsehen. Ich möchte alleweile gern Schadenersatz für meine Alte haben und werde warten, bis Eene darankommt, die nach meinem Geschmacke is. Wer mich in meiner jetzigen Schönheet nich haben will, der kriegt mich mein' Seel' ooch nich, wenn ich nachher noch schöner bin. Also, fang an.«

Der Essenkehrer war unbeachtet von den Anderen hinter einen der Thürpfosten getreten und überflog mit musterndem Blicke die noch zu versteigernden Damen. Sie waren ihm alle bekannt außer ð Mit einer Bewegung ungewöhnlicher Ueberraschung trat er aus dem Verstecke hervor und heftete das Auge auf ein Mädchen, welches zwischen dem Polizeirath und einem unbekannten Herrn saß.

»Welche Aehnlichkeit! So schön, so herrlich müßte sie geworden sein!«

Und sich zu dem eben eintretenden Wirthe wendend, fragte er:

»Wer ist die junge, weißgekleidete Dame dort unter dem Orchester?«

»Das is Fräulein von Chlowicki. Kennst Du sie denn noch nich?«

»Die wilde Polin? Ich habe wohl von ihr gehört, sie aber noch nicht gesehen. Und der Herr zu ihrer Linken?«

»Das is der Baron von Säumen, een reicher Erbe und ihr Verlobter.«

»Kennst Du ihren Vornamen?«

»Se heeßt Wanda.«

»Bitte, hole mir mein Geld.«

»Emil, biste toll? Ich gloobe gar. Du willst das Mädchen erstehen.«

»Geh nur und laß mich nicht lange warten.«

Er trat, in Rücksicht auf seinen nichts weniger als ballmäßigen Anzug, wieder,hinter den Pfeiler zurück und beobachtete von da aus den Gegenstand seiner vorhin gezeigten Ueberraschung. In ziemlich reservirter Haltung saß Wanda neben dem Verlobten, dessen rednerische Anstrengungen, nach dem leisen Unmuthe, welcher wie ein Schatten auf ihrem schönen Angesichte lag, zu urtheilen, von keinem glücklichen Erfolge gekrönt zu sein schienen.

»Also Du wirst mit aufbrechen, Wanda?«

»Nein!«

»Du wirst mitgehen, und ich bitte Dich um die Erlaubniß zu der Ueberzeugung, daß eine Dame von Deiner Distinktion an einem so plebejischen Spaße unmöglich Wohlgefallen finden könne.«

»Ich ertheile Dir meine Erlaubniß höchstens zu der Ueberzeugung, daß Du nicht das rechte Maß für dergleichen Dinge besitzest. Ich werde bleiben.«

»Wirklich?«

»Wirklich!«

»Dann zwingst Du mich, von dem Rechte, welches meine Stellung als Dein Verlobter mir ertheilt, Gebrauch zu machen, indem ich Dich diesen Schustern, Schneidern, Schmieden und Perückenmachern entziehe.«

»Ah!«

In diesem einen Laute lag eine unverhohlene Geringschätzung, und ihr großes, dunkles Auge blitzte mit spöttischem Blicke über die hagere Gestalt ihres Verlobten hin, als sie, die reichen, blonden Locken mit einer unnachahmlichen Bewegung nach hinten werfend, hinzufügte:

»Und wenn ich mir nun wirklich einen dieser Schneider und Perückenmacher,zum Ballherrn wünsche? Deine so rücksichtsvoll bei den Haaren herbeigezogene Stellung als mein Verlobter giebt Dir keine andere Berechtigung, als einzig und allein diejenige, Dich in meine Wünsche fügen zu dürfen.«

»Herr Baron,« fiel hier der Polizeirath in der Absicht, einem möglichen Eclate vorzubeugen, ein, »das Vergnügen ist ein durchaus unschuldiges. Man beliebt zuweilen einmal, auf wohlberechtigte Ansprüche zu verzichten, um den gewöhnlichen Mann in seinem Habitus kennen zu lernen und sich dabei ein kleines, erlaubtes Amüsement zu bereiten. Die Versammlung besteht aus durchaus ehrenwerthen Personen und ich selbst habe mich bewogen gefühlt, eine kleine, nette Schnittwaarenhändlerin zu engagiren. Und hegt Fräulein Wanda wirklich die interessante Absicht, einem auf ihre verehrte Person gerichteten Gebote keine Schwierigkeiten entgegen zu setzen, so bleibt Ihnen ja die vollständige Freiheit, dieses Gebot selbst zu thun.«

»Einem so beredten und in dem Besitze meiner ungetheiltesten Hochachtung befindlichen Vertheidiger muß ich mich allerdings fügen,« antwortete Säumen; aber es war kein guter Blick, welchen er bei dem Worte »ungetheilt« auf das Mädchen warf. »Doch werde ich der erwähnten Stellung wenigstens dadurch Rechnung tragen, daß ich ein Gebot sprechen werde, welches jede Concurrenz ausschließt.«

Da erschallte die Stimme des Auctionators von Neuem:

»Offgepaßt, meine Herrschaften! Ich habe aus Höflichkeit gegen die anwesenden Herren mein Gebot offgeschoben bis jetzt und erwarte deshalb, daß bei der nächsten Dame meine rücksichtsvolle Politik keene Gegner finden werde. Jede feindselige Intervention werde ich bis zum letzten Groschen meines Geldbeutels zurückweisen. Also jetzt Fräulein von Chlowicki. Ich biete fünf Thaler.«

»Zehn Thaler!« rief der Baron von Säumen mit einer Stimme, in deren Klange sich sehr hörbar die Ueberzeugung aussprach, daß mit dieser Summe das Bürgerthum vollständig geschlagen sei. Thomas maß den Sprecher,mit scharfem, stechendem Auge und antwortete dann:

»Der reiche Herr Baron von Säumen bietet für seine Verlobte zehn Thaler. Ich bin nur een armer Buchbinder, doch für eene solche Dame is mir das Doppelte nicht zu viel. Zwanzig Thaler,zum ersten Male.«

»Fünfundzwanzig Thaler!« rief der Baron.

»Ich gebe dreißig Thaler,und esse zwee Monate lang trockenes Brod. Also dreißig Thaler,zum ersten!«

»Fünf und dreißig!«

»Zehne mehr!«

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