Ein Dichter. Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten - Karl May - ebook

Ein Dichter. Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten ebook

Karl May

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Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten ist eine frühe Abenteuergeschichte Karl Mays. Im Llano estakado treffen der Dichter Richard Forster und der Jäger Tim Summerland aufeinander. Sie können sich vor dem Tod retten, indem Forster Kojoten erschießt und beide das Blut trinken. Glücklich entronnen treffen sie am Rande der Wüste auf Stakemen. Nach einem Kampf hat Summerland sein geraubtes Eigentum zurück und der Oberschurke wurde durch einen Tomahawkschlag gekennzeichnet. Als der Schurke sich später in Stenton bei dem reichen Bankier Olbers und dessen Tochter Marga unter dem falschen Namen Tom Wilson einschleicht, wird er von Forster entlarvt und muss seinen üblen Plan ändern. Zwar misslingen die Anschläge auf Summerland und Forster, aber der Schurke kann mit 50.000 ergaunerten Dollar fliehen. Wilson flieht mit einem Schiff, wird aber vom Kapitän erkannt und auf einer unbewohnten Insel ausgesetzt. Die ihn verfolgenden Helden, Summerland und Forster, sammeln ihn dort auf. Als Wilson Forster angreift, kommt er zu Tode. Die Helden werden von Graf Hernando reich beschenkt und kehren nach Stenton zurück, wo Forster sich mit Marga Olbers verlobt.

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Karl May

Ein Dichter

Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten

Warschau 2018

Inhalt

I. In der Todessteppe.

II. Marga.

III. Rache.

IV. In Mexiko.

V. Schluß.

I. In der Todessteppe.

Zwischen Texas, Neu-Mexiko, dem Indiana-Territorium und dem nach Nordosten streichenden Ozarkgebirge liegt eine weite Landesstrecke, über welche die Natur nicht weniger Schauer gelegt hat, als wie dergleichen die asiatische Gobi oder die afrikanische Sahara dem Menschen furchtbar machen. Kein Baum, kein einsamer Busch giebt dem brennenden Auge einen willkommenen Anhaltepunkt; kein Hügel, keine einzige namhafte Erhöhung unterbricht die todesstarre, eintönige Ebene; kein Quell erquickt die lechzende Zunge und bringt Errettung vor dem Verschmachten, dem Jeder anheimfällt, der aus der Richtung geräth und den Weg verfehlt, welcher nach den Bergen oder einer der grünenden Prairien führt. Sand, Sand, wieder Sand und nichts als Sand ist hier zu sehen, und nur zuweilen stößt der kühne Jäger, der sich in diese Oede wagt, auf eine Strecke, welcher ein vorübergehender Regen eine scharfe, stachelige Kaktusvegetation entlockt hat, die der Fuß meidet, weil sie ihn verletzt, die Thiere verwundet und keinen Tropfen Saft enthält, welcher die glühende Zunge nur auf einen Augenblick zu kühlen vermöchte.

Und doch durchziehen einige wenige Straßen dieses furchtbare Land. Der Mensch ist Meister der Schöpfung und macht sich selbst ihre starrsten, widerstrebendsten Punkte unterthan. Hinauf nach Santa Fé, an die Creeks, Springs und Goldfeder der Felsenberge und hinunter über den Rio Grande nach dem reichen Mexiko führen sie; aber es sind keine Straßen, wie die Civilisation sie dem Verkehre bietet, sondern was man so nennt, besteht in Nichts als dürren

Stangen, die man von Zeit zu Zeit in den Sand gesteckt hat, um die Richtung anzuzeigen, welcher der langsam dahinschleichende Ochsenkarrenzug oder der schnellere Trapper und Squatter zu folgen hat. Wehe ihm, wenn er diese Zeichen, von denen dieser Theil des Südwestens den Namen Llano estacado erhalten hat, verfehlt oder wenn sie von wilden Indianerhorden oder räuberischen Jägerbanden entfernt wurden, um ihn in die Irre zu führen. Er ist verloren! –

Weit, wie der unermeßliche, endlose Ozean, breitete sich die Wüste aus; glühend brannte die Sonne hernieder und über dem heißen Sande zitterte ein flackernder Schein, das darüber hinschweifende Auge schmerzend und blendend. Fünf lebende Wesen waren in der trostlosen Einöde sichtbar: ein Reiter, sein Pferd und drei Aasgeier, welche hoch in der Luft den beiden Ersteren folgten, als ob sie nur des Augenblicks warteten, an welchem Beide vor Erschöpfung zusammensinken und ihnen zur willkommenen Beute werden sollten. Es war doch schon der zweite Tag, daß sie dem Reiter folgten, und die scharfsinnigen Thiere mochten wittern, daß ein Menschenkind die Entbehrungen eines solchen Rittes nicht länger zu ertragen im Stande sei.

Der Wanderer war ein noch junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren. Er trug die gewöhnliche Tracht der Prairiejäger, ein ledernes, ausgefranstes Jagdhemd, ebensolche Leggins und Mokkassins und auf dem Kopfe einen Filzhut, dessen Farbe und Gestalt errathen ließen, daß sein Besitzer schon seit geraumer Zeit nicht mit der Civilisation in Berührung gekommen sei. Seine bleichen, erschöpften Züge, früher vielleicht geist- und lebensvoll, seine trüben, gläsernen Augen, seine blonden, wirr herniederhangenden Haare und die krampfhaft um die Büchse geballte Hand ließen errathen, daß er kaum mehr vermöge, den Entbehrungen und Anstrengungen des Rittes Widerstand zu leisten.

Ebenso ermattet wie er war auch sein Pferd. Es war, das konnte man sofort erkennen, ein aus der Heerde herausgefangener Mustang, vor wenigen Tagen jedenfalls noch voll Muth, Kraft und Ausdauer, jetzt aber gebrochen und bis auf den letzten Rest seiner Kräfte abgetrieben. Die Zunge hing ihm trocken zwischen den auseinanderklaffenden Zähnen hervor, die Augen schienen mit Blut unterlaufen, und nur mechanisch schleppte es sich Schritt um Schritt in dem tiefen Sande weiter.

So war es schon seit Tagen gegangen. Er hatte mit einer Gesellschaft von Westmännern Santa Fé verlassen, um über das Ozarkgebirge Arkansas zu erreichen, war jedoch von einem Trupp Comanchen überfallen worden und dankte es nur der Vorzüglichkeit seines Pferdes, daß er als der Einzige ihnen entkommen war. Sie hatten ihn bis in die Steppe verfolgt, sonst hätte er sich sicherlich nicht ohne Begleitung in dieselbe gewagt; er kannte ihre Gefahren und hatte sie noch nie betreten, Grund genug, sich nur deshalb zu dem verzweifelten Ritte zu entschließen, weil hinter ihm der sichere Tod drohte.

Schon seit gestern früh hatten die Stangen aufgehört, und er besaß keine andern Wegweiser als den Kompaß und die Gestirne des Himmels. Seit drei Tagen war kein Tropfen Wassers über seine glühenden Lippen gekommen, und mit einem trostlosen Blicke beobachtete er die Geier, welche sich immer weiter niedersenkten, je langsamer und strauchelnder die Bewegungen seines erschöpften Pferdes wurden.

Es stand endlich still und war nicht weiter fortzubringen; es zitterte an allen Gliedern und drohte, bei der ersten erzwungenen Anstrengung umzusinken.

»Also bis hierher und – jedenfalls – nicht weiter!« murmelte der Fremde in deutscher Sprache, an diesem Orte eine Seltenheit. »Giebts denn keine Rettung für mich und Dich, mein braves Thier?«

Er suchte den Horizont vergebens nach einer rettenden Erscheinung ab und stand schon im Begriffe, abzusteigen, als ihn das Verhalten des Pferdes aufmerksam werden ließ. Das Zittern desselben war ein eigenthümliches; es schien halb von Ermüdung, halb von Angst hervorgebracht zu sein; die schlaffen Nüstern hatten sich erweitert und gespannt, und jetzt erhob sich auch der bisher gesenkte Kopf zu jenem bezeichnenden Schnauben, mit welchem das ächte Prairienpferd die Nähe eines feindlichen Wesens verräth.

Der Wanderer zog sein Glas hervor, um den Gesichtskreis noch einmal und zwar genauer zu durchforschen, und bemerkte, daß die Geier ihn verlassen hatten und sich im Westen von ihm zur Erde senkten. Dort sah er nun auch einige regungslose Punkte und zuckte unwillkürlich mit der Hand nach dem Messer. Bei besserer Ueberlegung aber mußte er sich sagen, daß er in seiner Lage von menschlichen Wesen nichts Schlimmeres zu fürchten habe, als ihm so schon drohte. Vielleicht war einer dieser Punkte nur irgend ein verendendes Thier, auf dessen Tod die andern nur warteten, um es zu zerfleischen. Er stieg ab, ergriff die Zügel und schleppte sich

und das Pferd langsam vorwärts. Von Zeit zu Zeit das Fernrohr erhebend, gewahrte er endlich, daß ein Mann an der Erde lag, um welchen in einiger Entfernung mehrere Koyoten (Prairiewölfe) und Geier saßen. Er konnte noch nicht todt sein, sonst hätten sich die Thiere längst auf ihn gestürzt.

Es durchzuckte ihn schaudernd. Er sah sein eigenes Schicksal vor seinen Augen liegen, dem er verfallen war, wenn sich nicht baldige Rettung zeigte.

»Wer mag es sein? Ein Jäger? Wo ist sein Pferd? Sie werden ihn zerfleischen und sein Blut ––«

Er hielt inne. Das letzte Wort weckte einen Gedanken in ihm.

»Nein, unser Blut soll nicht von ihnen getrunken werden, sondern das ihrige soll uns vor dem Verschmachten retten!«

Er gab seinem Pferde das gewohnte Zeichen, sich niederzulegen. Es gehorchte. Dann duckte er sich nieder und schlich sich näher an die Räuber und Todtengräber der Steppe heran. Sobald er sah, daß er bemerkt wurde, legte er sein Lariat (Lasso) zu einer Doppelschlinge, die er mit dem Messer im Sande befestigte, und gab ein paar Stücke in der Sonne gedörrtes Büffelfleisch dazu, welches er aus dem am Pferde hangenden Proviantsacke mitgenommen hatte. Dann ging er eine Strecke zurück und fiel zu Boden.

Die Thiere hatten sich bei seinem Anblicke nur langsam und zögernd von ihrer erwarteten Beute entfernt; der Hunger überwog die Furcht vor dem überlegenen Menschen. Jetzt, da er still und bewegungslos an der Erde lag, kamen sie mit eingezogenem Schwanze und lechzender Zunge herbeigeschlichen, um den neuen Tribut der wilden Savanne zu untersuchen. Kaum hatte der Erste die Schlinge erreicht und die Lockung gewittert, so schnappte er mit Heißgier zu und war gefangen. Zwei Schüsse krachten; er und der ihm nächste brachen zusammen.

Im Nu sprang der Jäger auf und eilte hinzu. Alle Müdigkeit war verschwunden. Sein Messer öffnete die Adern des einen der gefallenen Thiere, und mit Wollust sogen seine Lippen das heiße, süße Blut, welches ihm zu anderer Zeit Ekel nd Abscheu erregt hätte. Dann sprang er zum Pferde, riß den Trinkbecher vom Gurte, ließ ihn voll laufen und schritt damit zu dem Andern, den der Knall der beiden Schüsse aus seiner tödtlichen Betäubung geweckt hatte. Auch die andern Raubthiere waren dadurch verscheucht worden.

»Wasser!« stöhnte er.

Der rauchende Trank brachte seinem halb verschmachteten Körper augenblickliche Labung; er richtete sich empor und sah dem Retter mit verwundertem Auge in das bleiche Gesicht.

»Uff, Sir, that das meiner armen Zunge wohl! Gebt mir noch solch einen Tropfen!«

Der Angeredete eilte ohne Antwort zu den Koyoten zurück und brachte ihm des letzten Rest ihres Blutes herbei.

»Thank you, Sir! Ich dachte, schon an der Himmelspforte zu sein, aber der vermaledeiete Sand hier rund umher und die Bestien dort sind deutliche Zeichen, daß ich noch ein wenig im bisherigen Jammerthale herumkrabbeln muß. Beinahe glaube ich, das liebe Viehzeug hätte mich aufgefressen, wenn Ihr ihnen nicht den Appetit verdorben hättet!«

»Ich war dem gleichen Schicksale nahe, habe aber gemeint, daß es besser sei, sie geben mir ihr Blut, als ich ihnen mein Fleisch.«

»Well! Es ist eigentlich ein abscheulicher Schluck; aber in der Noth verschlingt der Bär auch Chokolade, und Euer Einfall ist der beste, den Ihr haben konntet. Er hat mir und Euch geholfen, zwar nur für kurze Zeit, aber –«

Er unterbrach sich, beschattete das Auge mit der Hand und beobachtete ein kleines, leichtes Wölkchen, welches er am Horizonte bemerkt hatte.

»Heigh-day, dort kommt die Hülfe in der Noth, Sir Das giebt in einer halben Stunde einen Regen, der die Todessteppe zum See machen würde, wenn der Sand nicht alles Wasser verschlänge. Aber sagt, wie kommt Ihr an diesen Ort, ohne Pferd, ohne Gesellschaft, ohne –«

»Ohne Pferd? Dort liegt mein Gaul; er war keinen Schritt weiter fortzubringen. Ich komme von Santa Fé, bin den Comanchen echappiert und wollte hinauf nach den Bergen, um über den Red River nach Arkansas zu gehen. Mein Name ist Richard Forster, und meine Heimath ist Frankfort in Kentucky.«

»Richard Forster? – Frankfort in Kentucky? – By god, Sir, dann sage ich Euch hundertfachen Dank für Euern Rettungstrunk! Ihr seid der berühmte Mann, der die schönen deutschen Lieder macht, die weit über die Staaten hinaus gedruckt und gelesen werden?«

Der Andere nickte lächelnd.

»Richtig gerathen! Ich bin der Mann, der »Savannenbilder« dichten wollte und deshalb in die Prairie ging, um sich von den Kojoten beinahe auffressen zu lassen.«

Er stand jetzt grad und aufrecht da, die Arme in die Hüften gestemmt, eine echte, rechte Kentuckygestalt. Die blonden Locken, lange Zeit ungepflegt, hingen ihm lang auf die breiten Schultern herab; die tiefblauen Augen glänzten wieder lebensvoll und die erst so bleichen, männlich schönen Züge begannen sich wieder zu röthen.

»Oder von den Comanchen aufspießen und am Pfahle martern zu lassen. Auch ich bin vor Kurzem ein Weniges mit ihnen zusammengekommen, Sir, und wurde von ihnen verfolgt bis in dieses verdammte Sandmeer, wo sie wieder umkehrten. Ich glaube, es war dieselbe Truppe, die auch Euch zwischen die Pfeile nahm.«

»Möglich! Aber nun will ich dieselbe Frage aussprechen, die Ihr mir vorhin vorlegtet.«

»Ihr? Sagt nur immer Du, Sir! Ich bin weder Präsident noch Gouverneur und mag von Ihr Nichts hören. Wie ich heiße? Tim Summerland, so ist mein Name, seit ich lebe, und so wird er auch bleiben, bis ich meinen Skalp verliere oder von irgend einem Grizzly mit Haut und Haar verschlungen werde. Habt Ihr vielleicht von Bill Summerland gehört, dem Lawyer?«

»Meinst Du den berühmten Advokaten Bill Summerland in Stenton, Arkansas?«

»Denselben. Er ist mein Bruder und zu ihm wollte ich. Ich hätte ihm eine verteufelte hübsche Ladung von Goldstaub und Nuggets mitgebracht, die ich droben am Canadian geholt hatte, aber die Pfahlmänner haben sie mir abgenommen.«

»Die Pfahlmänner?«

»Ja, die Pfahlmänner. Oder wißt Ihr noch nicht, welchen Schuften man diesen Namen giebt? Es giebt allerlei Gesindel, welches aus gewissen Gründen die Staaten verlassen mußte und hier sicher vor den Armen der Jury zu sein scheint. Es zieht in verschiedenen Trupps umher, plündert, mordet, treibt allen möglichen Unfug und hat es ganz besonders auf die Voyageurs und Karawanen abgesehen, welche gezwungen sind, die Todessteppe zu durchschneiden. Um diese irre zu führen, ziehen sie die Pfähle heraus und entfernen sie oder stecken sie in falscher Richtung ein. Ist dann der Wanderer halb verschmachtet, so fallen sie über ihn her und – nun ja, jetzt wißt Ihr, warum man sie die Pfahlmänner nennt. Als wir die Spanisch-Piks und den Canadian verließen, waren wir über die zwanzig wohlbewehrten Westleute. Sie alle fielen unter den Tomahawks und Pfeilen der Comanchen, bis auf mich und noch Zwei. Wir konnten uns nur durch die Llano estacado retten und hatten bereits das größere Stück derselben zurückgelegt, als die Pfähle aufzuhören begannen. Dies mahnte uns zur Vorsicht; aber trotz aller List und Achtsamkeit wurden wir überrumpelt. Es war mitten in der Nacht; ich entkam im Dunkeln aus dem Handgemenge, aber so, wie Ihr mich hier seht, ohne Pferd und Waffen. Drei Tage lang ists gegangen, dann aber brach ich zusammen und weiß nicht, wie lange ich gelegen habe. Als ich erwachte, wart Ihr bei mir. Habt Dank, Sir! Der alte Tim Summerland wird schon wieder zu einer Büchse und einem Pferde kommen, und dann sollt Ihr sehen, daß er aus Dankbarkeit für Euch noch ganz andre Dinge verschluckt als einen Becher voll Koyotensaft!«

Er hielt inne. Der Nomade des Westens ist meist ein schweigsamer Gesell, und Tim Summerland hatte trotz seiner Erschöpfung die längste Rede seines Lebens gehalten. Der gute Mann sah nichts weniger als gentlemanlike aus; die Strapazen hatten seinen Körper und noch mehr seine Kleidung arg mitgenommen, aber sein Gesicht zeigte eine jener nicht seltenen Trapperphysiognomien, in welchen sich der Ausdruck ungemeiner List und Verschlagenheit mit dem der Ehrlichkeit und Treue paart.

»Was die Büchse betrifft, so kann schon jetzt geholfen werden,« meinte Forster. »Ich habe außer meinem Doppelläufer einen famosen Stutzen dort am Sattel hangen, den Du haben kannst, Tim; für Munition und Proviant ist gesorgt; nur Wasser, Wasser, das ist nöthig, nicht blos für uns, sondern noch vielmehr für mein Thier, ohne welches wir verloren sind. Aber, Gott sei Dank, Du hast Recht gehabt; die Wolke wächst zusehends; sie nimmt schon fast den halben Himmel ein, und ich glaube, vor dem Verschmachten sind wir nun sicher!«

»Das ist so gewiß wie meine Mütze! In fünf Minuten kommt der Guß, Sir, das könnt Ihr glauben, denn Tim Summerland ist nicht zum ersten Mal in der Todessteppe und kennt ihre Launen wie seinen Kugelbeutel. Macht nur, daß Ihr das Pferd anpflockt und das Pulver verwahrt, sonst ists um Beides geschehen.«

Er erhob sich und stülpte sich die Mütze auf das wirre Haar.

Es war eine Kopfbedeckung, die ihres Gleichen suchte. Von ihm selbst vor langen Jahren mittelst Hirschsehnen aus einem Stück Bärenfell zusammengenäht, hatte sie wohl schon ursprünglich eine außergewöhnliche Form besessen; dann waren ihr im Laufe der Zeit die Haare bis auf einige zerstreute Troddeln abhanden gekommen, die lang und schmutzig braun an der nackten Haut hingen wie Blutegel, die sich in das Fell verbissen hatten; tausendmal vom Regen durchnäßt und ebenso oft von der Sonne wieder getrocknet, hatte das Prachtstück jetzt eine geradezu unbeschreibliche Gestalt angenommen und lag auf dem Kopfe wie eine ausgedorrte Qualle oder ein Stück ausgelaugte und ausgebratene Dachpappe, welches die Hitze in Halbkugelform gezogen hat. Solche Ausrüstungsstücke sind in der Prairie gar nichts Seltenes; sie haben dem Besitzer ihre guten Dienste geleistet, werden von ihm heilig gehalten und selbst dann nicht abgelegt, wenn er auf kurze Zeit mit der Civilisation in Berührung kommt.

Zwar war die Luft jetzt noch schwüler als vorher, aber die beiden Männer fühlten sich schon durch die Hoffnung auf den Regen gekräftigt, und auch das Pferd war aufgesprungen und hielt den Kopf schnaubend in die Höhe. Sein Instinkt ließ es die nahe Rettung erkennen. Es wurde fest angepflockt; Forster sorgte dafür, daß Proviant und Munition nicht von der Nässe erreicht werden konnten, und kaum war dies geschehen, so brach es los, nicht allmählich, wie in anderen Zonen, sondern plötzlich, wie eine See, die vom Himmel stürzt und Alles in die Erde schlagen will. Die Jäger tauchten bei dem ersten Drucke der furchtbaren Tropfenmasse förmlich auf den Boden nieder; dann aber riß Summerland die Mütze herab und hielt sie verkehrt dem niederströmenden Elemente entgegen. In wenigen Augenblicken war sie gefüllt.

»Cheer up, Sir, nehmt Euren Hut, und macht's wie ich! Auf Euer Wohl und dasjenige des alten Tim Summerland!«

Er goß das Wasser, trotzdem es verschiedene Ingredienzen in der Kopfhaut vorgefunden hatte, in den weit geöffneten Mund, schnalzte mit der Zunge, als habe er einen Humpen echten New-Hampshire-Whiskey ausgeleert, und hielt die Bärenhaut wieder empor, um den labenden Trunk zu wiederholen.

Forster folgte der Aufforderung. Die trotz der dichten und ausgetrockneten Kleidung bald bis auf die Haut durchdringende Nässe wirkte auf seinen Körper, wie Balsam auf eine offene Wunde. Die ganze Fülle der früheren Kraft und Freudigkeit kam über ihn, und auch das Pferd wieherte laut und schlug vorn und hinten aus, um die Rückkehr des beinahe entwichenen Lebens zu erkennen zu geben.

Weit über eine Stunde lang gossen die Schleußen des Himmels ihre Ströme unvermindert hernieder, dann hörte die Fluth ebenso plötzlich auf, wie sie begonnen hatte.

»'sdeath, war das eine Sündfluth!« meinte Summerland. »Ich wollte, die ganze Comanchen- und Pfahlmännersippschaft wäre darin ersoffen wie der König Belsazar im rothen Meere, als er die Egypter erschlagen wollte. Wie ist's Euch, Sir?«

»So gut und wohlig, als säße ich in irgend einer "dearness spelunk" von St. Louis oder Cincinnati,« antwortete der Gefragte mit einem heitern Lächeln über die geschichtliche Verwechslung, deren sich sein Gefährte schuldig gemacht hatte. »Ich fühle mich so vollständig erfrischt und munter, daß ich sofort aufsteigen und davonreiten möchte.«

»Wird auch das Beste sein! Jetzt ist die Luft kühl und stärkend; das müssen wir benutzen. Come on, setzt Euch auf; wir wollen machen, daß wir aus dieser verteufelten Steppe heraus und in ein Land kommen, wo es ein wenig Gras und einige Bäume giebt!«

»Willst Du nicht zuvor ein Stück Fleisch nehmen? Ich bin damit zur Genüge versehen.«

»Gebt her! Doch das läßt sich im Gehen thun.«

»Im Gehen? Nein, Du sollst auf das Pferd. Ich habe nich so viel gelitten wie Du und bin also besser auf den Füßen.«

»Meint Ihr etwa, Tim Summerland, der alte Trapper und Goldsucher, setzt sich wie St. Mary auf den Esel und läßt Euch als Joseph daneben herhumpeln bis in den Distrikt Mesopotamien hinein? Da irrt Ihr Euch gewaltig. Ich habe eine Portion Wasser bekommen und werde laufen wie ein Cheyennehäuptling. Das Thier ist Euer; darum müßt Ihrs reiten!«

»Well, so wechseln wir ab. Aber die Richtung, Tim, über die müssen wir uns doch vorher einigen!«

»Nord und Süd kenne ich genau und Ihr jedenfalls auch; aber das ist nicht genug. Die Hauptsache ist, zu wissen, nach welcher Gegend wir das grüne Land am schnellsten erreichen.«

»So sag Deine Meinung. Du kennst ja den Estacado besser als ich.«

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