Vampir. Ein verwilderter Roman in Fetzen und Farben - Heinz-Ewers Hanns - ebook

Vampir. Ein verwilderter Roman in Fetzen und Farben ebook

Heinz-Ewers Hanns

0,0
14,90 zł

lub
-50%
Zbieraj punkty w Klubie Mola Książkowego i kupuj ebooki, audiobooki oraz książki papierowe do 50% taniej.
Dowiedz się więcej.
Opis

Hanns Heinz Ewers war gebürtiger Düsseldorfer, Weltenbummler, ein Vorläufer der Beat-Generation, drogenerfahren, experimentierfreudig, skandalumwittert, ein Bestsellerautor. „Vampir” ist der Abschluss seiner autobiographisch geprägten Frank-Braun-Romane (Alraune/Der Zauberlehrling) und spielt zur Zeit des ersten Weltkriegs in den USA. „Vampir”: ein Roman zwischen Mescalrausch, Lust und Vampirismus, ein Roman über Demagogie und die Macht der Rede. Aus dem Buch: „In dem Jahre, in dem die ganze Welt wahnsinnig wurde, war er hinausgezogen – zum andern Mal. Er sagte immer: zum andern Mal; er zählte nicht, ob es das siebente Mal war, oder das zehnte, das zwölfte. Drei Jahre war er nun schon zu Hause geblieben, über drei Jahre schon in seiner alten Heimat: Europa. Er wußte wohl, daß er krank war; Europa machte ihn krank, die Heimat, die er liebte. Nach einem Jahre wußte er es selbst; nach zwei Jahren sahen es seine Freunde; nach drei Jahren merkten es alle, die mit ihm sprachen. Die Nerven vielleicht – Aber er wußte auch, was ihn heilen mochte. Oder eigentlich: nicht heilen. Wohl aber: ihm neue Kraft geben für neue Jahre in der Heimat. Wenn er die Gluten der Tropen trank, wenn er die Einsamkeiten der Wüsten atmete, wenn seine Sehnsucht sich badete in den Unendlichkeiten aller Meere.”

Ebooka przeczytasz w aplikacjach Legimi lub dowolnej aplikacji obsługującej format:

EPUB
MOBI

Liczba stron: 723

Oceny
0,0
0
0
0
0
0
Więcej informacji
Więcej informacji
Legimi nie weryfikuje, czy opinie pochodzą od konsumentów, którzy nabyli lub czytali/słuchali daną pozycję, ale usuwa fałszywe opinie, jeśli je wykryje.



Hanns Heinz Ewers

Vampir

Ein verwilderter Roman in Fetzen und Farben

Warschau 2018

Inhalt

HANNS HEINZ EWERS

VORWORT

I. OPALE

II. BERYLLE

III. KARNEOLE

IV. SMARAGE

V. TÜRKISE

VII. SAPHIRE

VII. KRISTALLE

VIII. HYAZINTHE

IX. SELENIT

X. TOPASE

XI. DIAMANTEN

XII. HELIOTROPE

XIII. AMETHYSTE

XIV. OBSIDIANE

XV. HÄMATITE

TO ADÈLE G. L.

I fought with all; more then with all — with you, I suffered much; so, I suppose, did you. And out of cruel wounds and bleeding years Grew forth this book, brimfull of love and pain. It is your book — take it with gracious hands!

H.H.E.

VORWORT

Habent Sua Fata Libelli —

manchmal schon, wie dies hier, ehe sie noch gedruckt sind. Das Manuskript ward beendet Dezember 1916 in Sevilla; H.H.E. sandte es von dort mit einem norwegischen Schiff nach Deutschland. Der Kapitän, in Brest von den Franzosen angehalten, vernichtete das Manuskript. Eine Kopie, stark durchgearbeitet, sandte H.H.E. dann im Frühjahr 1917 von Neuyork; ein Herr R. aus Wien, der durch Jahre die Geheimpost nach Deutschland besorgte, übernahm es. Sein Agent fuhr als Steward auf einem schwedischen Dampfer; er wurde, schon lange im Verdacht, Geheimpost herüberzuschaffen, von den Engländern in Kirkwall festgenommen. Aber seine Post fand man nicht; die hatte er wohl versteckt. Nach fünf Monaten fruchtloser Untersuchung ließen die britischen Behörden den gefährlichen Menschen los, brachten ihn auf dasselbe Schiff zurück, das wieder auf einer Fahrt nach Amerika war. Wohlbehalten fand er alle seine Sachen in dem alten Versteck und lieferte sie, da an weitere Versuche für ihn nicht mehr zu denken war, getreulich seinem Auftraggeber wieder ab. Kurz darauf wurde dieser, Herr R., von den amerikanischen Behörden in Haft genommen und alle seine Sachen beschlagnahmt — darunter auch dies Manuskript. Er wurde zwar wieder freigelassen, die Untersuchung ging aber bis spät in den Sommer 1918 weiter. Als er sich endlich glücklich herausgelogen hatte, gelang es ihm durch einen günstigen Zufall, einige seiner Sachen zurückzuerlangen — auch das Romanpaket kam wieder in seinen Besitz. Er vergrub es mit anderen Dokumenten in einer Kassette in seinem Garten im Bronx.

Eine letzte Abschrift hatte H.H.E., nachdem er sie bei einem halben Dutzend Haussuchungen glücklich gerettet hatte, seiner amerikanischen Sekretärin, Frl. J.I., zur Aufbewahrung übergeben. Als die Behörden auch in ihrer Wohnung wiederholt haussuchten, übergab sie die Abschrift einer befreundeten irischen Dame — die nun ebenfalls mit dem Besuche der Geheimagenten beglückt, das Manuskript noch rechtzeitig in den hinteren Räumen verbrennen konnte, während vorne die Spürhunde des Justizministeriums darnach suchten.

Inzwischen war H.H.E. in Haft genommen worden. Bei allen seinen Verhören war immer einer der Hauptpunkte die Frage nach dem Manuskript »Vampir«. Ein paar Kapitel waren in spanischen Blättern veröffentlicht worden; der ausgezeichnete englische Geheimdienst, der H.H.E. seit 1914 schon auf das gründlichste beobachten ließ und jede [dritte!] seiner Bewegungen kannte, wußte natürlich davon und hatte längst die amerikanischen Behörden verständigt. Während er oft stundenlang über das Manuskript, unter dem sich die amerikanischen Vaterlandsretter gottweißwas Gefährliches vorstellten, inquiriert wurde, lag dies ganz gemütlich im selben Büro, hübsch in braunes Packpapier gewickelt, bei den Akten »R.«! H.H.E. glaubte das Manuskript übrigens längst in Deutschland und konnte den Herren Inquisitoren nur immer versichern, daß es nicht in seinem Besitze sei. So grundverderblich jedoch erschien es den Behörden, daß sie es als erstes Buch auf den damals für die Ver. Staaten angelegten »Index« setzten, der sofort in allen Blättern veröffentlicht wurde; man muß gestehen, es dürfte schwer gewesen sein, gegen dies Verbot zu verstoßen!

Wieder ein Jahr später, im Sommer 1919, als H.H.E. nach höchst unsympathischen Aufenthalten in Gefängnissen, Zuchthäusern und Gefangenenlagern sich in Neuyork wieder einer etwas beschränkten Freiheit erfreute, tauchte plötzlich Herr R. bei ihm auf. Er hatte mittlerweile seinen Schatz ausgegraben und brachte das Manuskript zurück. Doch auch jetzt war das Manuskript nur ebenso »beschränkt frei« wie er selbst. »Paroliert« war er nur unter der Bedingung, nichts zu veröffentlichen, »weder in den Ver. Staaten noch in irgendeinem anderen Lande, weder in englischer noch in irgendeiner anderen Sprache, weder privat noch öffentlich, weder direkt noch indirekt« usw. usw. — Man sieht: die amerikanischen Behörden sind tüchtig, wenn es sich um Unterdrückung von irgend etwas Geistigen handelt! H. H. E. ist in Berlin und Wien, in St. Petersburg, Rom und Paris »zensuriert« worden, aber nie so fabelhaft gründlich wie in den Staaten. Dazu bekam er, selbstverständlich, auch keine »Erlaubnis zur Abreise«, wurde vielmehr, nach wie vor, gründlich überwacht.

Nun ist er endlich doch wieder in Europa, darf sich einer gewissen persönlichen Freiheit erfreuen — wenigstens soweit davon in modern regierten Ländern die Rede sein kann. Franzosen, Engländer, Amerikaner haben ihr Bestes getan, dies Buch zu vernichten — und den, der es schrieb. Daß es doch nicht gelang, war — Schicksal Und vielleicht half dazu ein Karneol, in den ein Skorpion eingeschnitten war. Wie ein Beryll ihm half durch manche Fährnisse in diesen Jahren, ihm gute Kraft gab und noch geben mag.

Beide gab ihm eine schöne Frau —

Neapel, 7. Juli 1920

»My muse by no means deals in fiction, she gathers a repertory of facts. And that's one cause, she meets with contradiction, for too much truth, at first sight, never attracts.«

Byron

I. — OPALE

In dem Jahre, in dem die ganze Welt wahnsinnig wurde, war er hinausgezogen — zum andern Mal. Er sagte immer: zum andern Mal; er zählte nicht, ob es das siebente Mal war, oder das zehnte, das zwölfte. Drei Jahre war er nun schon zu Hause geblieben, über drei Jahre schon in seiner alten Heimat: Europa.

Er wußte wohl, daß er krank war; Europa machte ihn krank, die Heimat, die er liebte. Nach einem Jahre wußte er es selbst; nach zwei Jahren sahen es seine Freunde; nach drei Jahren merkten es alle, die mit ihm sprachen. Die Nerven vielleicht —

Aber er wußte auch, was ihn heilen mochte. Oder eigentlich: nicht heilen. Wohl aber: ihm neue Kraft geben für neue Jahre in der Heimat. Wenn er die Gluten der Tropen trank, wenn er die Einsamkeiten der Wüsten atmete, wenn seine Sehnsucht sich badete in den Unendlichkeiten aller Meere.

Und gesund — oder doch fast gesund — war er schon an dem Tage in Antofagasta. Irgendein Kleines nur war zurückgeblieben, ein Leichtes, Seltsames, Weiches und Verwildertes. Frank Braun lachte darüber, breitete die Arme aus, dehnte sich, reckte sich, fühlte seine alte Kraft, wie er jeden Muskel am Körper spielen ließ. Am liebsten wäre er hineingesprungen ins Wasser, zwischen die Seelöwen, wäre wettgeschwommen mit ihnen hinter den Heringsschwärmen im Hafen von Antofagasta. Das war an dem Tage, als das Wetterleuchten zuckte am Himmel der Heimat, an dem Tage, als der Schrei rings um die Welt jagte, durch alle Drähte in Meeren und Landen, durch alle Lüfte in funkenden Wellen: der wilde Schrei von Sarajewos Mordtat.

In Hamburg war er an Bord gegangen — auf den Dampfer, der gerade hinausfuhr in die Welt. Es war ihm, als ob ihn der Ozean trage und nicht das Schiff. Das war nur die Wiege, die ihn hielt — sie aber schaukelte leicht die allmächtige Mutter. Die sang, sang für ihn; wenn er die Augen schloß, konnte er's wohl verstehen, Weise und Worte. — Dann, bei St. Pauls Riff, mitten im Meer, bat er den Kapitän um ein paar Stunden, Haifische zu fangen. Der wollte nicht, aber er ließ nicht nach, gab ihm die schönsten Worte, steckte sich hinter den Ingenieur, der erklärte, er wolle die Zeit schon aufholen bis Montevideo. So hielten sie, machten die Haken zurecht, warfen sie aus; fingen fünf mächtige Bursche. Schnitten ihnen die Leiber auf, wie jeder Seemann tut, fanden nichts: da ist kein Überfluß an Menschenfleisch, mitten im Atlantik, bei St. Pauls Riff.

Unten traf er, in Punta Arenas, einen schmutzigen Kasten der La-Plata-Regierung, der herumfuhr zwischen den Inseln, selbst nicht ahnte, weshalb. Der Kapitän war ein Baske aus den Bergen, er sollte wohl Vermessungen machen und wußte nicht recht, was das war. Der Kosmosagent im Südhafen schrieb ihm ein paar Ziffern ab aus einem deutschen Buche, die zahlte er mit Fellen und schickte sie, mit vielen Siegeln, nach Buenos Aires. Kein Mensch las sie dort.

Sie kreuzten in der Magelhaensstraße. Zum Feuerland, auch hinüber nach Patagonien. Da schossen sie Guanakos und drüben Ottern und große Füchse. Sie besuchten die armseligen Goldgräber, die immer noch suchten, froren, fluchten und tranken; sie streiften herum mit den Bootsindianern, nackt in all der Kälte, schmutzig und verhungert, erbärmliche Tiere, die ihr Leben verkauften um einen Mundvoll Schnaps.

Oder er lag an Deck, fest eingehüllt, irgendwo in einer Bucht. Blickte auf die blauen Gletscher, die tief hinabglitten ins Meer, suchte im Wasser nach einer Robbe oder einem Pinguin, warf Speckstücke hinunter und kleine Fische für die Kaptauben und Boobies und Albatrosse, die wie plumpe Riesenenten sich schaukelten. Lag auch an den langen Abenden unten in seiner Kabine, auf Fellen, zwischen Fellen, rauchte, spielte Schach mit dem schwedischen Steuermann.

Nahm dann wohl seine alten Bücher, träumte mit ihnen. Es waren wenig genug, sechs oder sieben: Jacomino von Verona, Bruder Pacifius, St. Bonaventura, Jacopone von Todi. Der Schwede sah sie verächtlich an, und ein wenig scheu. »Die waren nie herum um Kap Horn!« Frank Braun sagte: »Nie? Vielleicht kannte Magelhaens den Todaner.«

Er kaufte ein paar Pferde irgendwo, ritt hinauf mit zwei Indianern durch Patagonien, kletterte über die Anden und hinunter nach Coronel. Stieg auf einen kleinen Walfischfänger der norwegischen Station, fuhr hinunter, half beim Harpunieren, ließ sich ein paar Zähne ausbrechen vom größten Tiere. Und zurück schneckenlangsam auf der Nußschale, die zwei große Potwale schleppte, an Backbord einen und einen an Steuerbord. — Dann durch das deutsche Chile; nordwärts, mit der Bahn, durch das spanische. Wieder über die Anden nach Bolivien; er sang und trank mit den deutschen Offizieren, die dort Soldaten machten aus barfüßigen Affen.

Nun wollte er zurück. Der Hapagdampfer wartete im Hafen von Antofagasta. Stark war er und gesund — bis auf ein Kleines.

Das grüne Wasser war so klar, man sah hinunter, viele Meter tief. Dann wieder, dicht am Boot, eine Wolke, die sich wälzte und schob, leuchtend und gleißend wie patiniertes Silber — Heringsschwärme, Hunderte, Tausende, Hunderttausende von Heringen. Die Seelöwen jagten sie, trieben sie tiefer hinein in den Hafen, ringsherum im großen Halbkreis vom Meere her, wie geübte Treiber. Einer hob sich und noch einer, schüttelte den starken Kopf mit dem mächtigen Schnauzbarte, tappte mit der Flosse breit auf das aushängende Ruder. O, der alte Kerl weiß genau, daß er frei ist, daß er großen Schutz hat und ihm kein Mensch was tun darf an der Westküste. Neugierig schaut er ins Boot, wer will da wieder hinaus? Wer ist dumm genug, von hier fortzufahren — von diesen glückseligen Jagdgründen der unzähligen Heringe? Narren, dachte er, Narren! Und, im starken Schwunge, schob er den gewaltigen Leib halb hinaus aus dem Wasser, hinein wieder, kopfüber in die Hatz auf die reiche Beute.

Hinten dehnte sich die Salpeterwüste. Diese öde, trostlose, riesige Strecke, die sich hinaufzog über fast dreißig Grade zwischen dem Ozean und den Bergen. Braun und weiß und gelb und rot. Kein Baum, kein Strauch, kein kleiner Grashalm. Nichts. Und die Stadt, Antofagasta, ausgedörrt in der Sonnenglut, wie Arica, wie Mollendo, wie Iquique und alle die andern. Deutsche und Engländer, Chilenen, Kroaten, Syrier — und sie alle rissen aus dem unfruchtbaren Boden den Stoff, der da drüben, im alten Lande, höchste Fruchtbarkeit gab. Bleich und ausgedörrt all die Menschen, wie die Wüste ringsum; wie ein großes Seufzen zitterte es hinauf an der langen Westküste: Wasser! Und da war genug, freilich, dicht vor ihnen, ein ganzes gewaltiges Weltmeer voll! — Der Seelöwe begreift es nicht.

Weiße Vogelschwärme überall auf den Klippen. Und die Jagd im Wasser, die große Treibjagd. Die Weibchen und jungen Tiere nehmen die Mitte; an beiden Flanken aber halten die Alten, die mächtigen, bärtigen, vier Meter lang. Immer enger schließt sich der Kreis, immer niedriger wird das Wasser, immer geschlossener die Heringsschwärme an der Mole. Kein Mensch fischt — heut ist Feiertag. Müde und verschlafen starren ein paar gelbe Bengel herab von der Darse. Die Seelöwen fassen zu, greifen, schlingen, jagen in die Silberwolken. Werfen sich hoch, schießen hinein ins Wasser, zehn, zwanzig zugleich. Zwischen ihnen kleine, kluge Köpfe, so menschlich wie sie. Vögel, die Fische wurden, wie sie: Pinguine. Die sind neidisch, können immer nur einen Fisch fassen, wenn die Robben viele Dutzende schlingen. Ein riesiger Bulle, uralt, schwer und wuchtig, hebt sich auf die Uferplanken, daß sie laut krachen. Schnauft, prustet, wiegt den Kopf, blinzelt durch die Sonne ins Boot hinüber. Der weiß es, der Alte, weiß es gut, kennt das Geheimnis des Lebens. Fisch werden, denkt er, das ist es! Wie wir es machten! Wie es die frechen Vögel da machten, die Pinguine! Fisch werden, o Mensch, Fisch werden! Ins Meer zurück! — Das ist gewiß, daß er lacht. Sieht lachend dem plumpen Pelikan zu, der ins Wasser klatscht. Platsch, wie ein dicker Ball! Der stößt den Kopf hinunter, bringt ihn wieder heraus, hat seinen Hering im Klappschnabel. Wirft ihn hoch, fängt ihn im Kropf, flattert mühsam auf, von den Wellen zurück auf die Klippe. Wie ungeschickt, denkt der Alte, wie täppisch und plump! Und wie um zu zeigen, was er kann, springt er hinab von den Planken mit einem gewaltigen Satze, taucht wieder auf im Augenblick, die Beute zwischen den Zähnen. Keinen Hering diesmal, einen andern Fisch, drei Schuh lang. Er hat den zappelnden quer im Maule, wirft ihn hoch wie der Pelikan, fängt ihn auf. Noch einmal und wieder, wie ein Jongleur! Möwen kommen, fünf, sechs, schreiend und kreischend. Fliegen ihm um den Kopf, hacken in den Fisch, wollen auch ihr Teil. Da beißt er zu, schlingt die eine Hälfte, läßt die andere den Vögeln, großmütig, mitleidig fast.

Und wieder hinein in die Hatz —

*     *

*

Die schwanke Treppe hinauf auf den Hapagdampfer. Ein Offizier, groß, blond, blauäugig, kam ihm entgegen, preßte ihm kräftig die Hand. Frank Braun erkannte ihn gleich; in der Südsee war er vor Jahren mit ihm gefahren. »Wie geht's?« fragte er. — »Wenn Sie kommen — gut!« rief der Hamburger. »Sind wieder mal Eiermann!«

Frank Braun lachte. Eiermann — das war er oft gewesen — einziger Kajütspassagier! Der ist stets beliebt in der Offiziersmesse — er bedeutet: bessere Kost, Passagierkost — und besonders die Eier zum Frühstück! »Das ist recht,« sagte er. Er wandte sich um, sah ein paar Männer und Frauen an der Reeling stehen. »Und die da? — Keine Passagiere?«

Der zweite Offizier nickte. »Doch! — Aber alles Zwischendeck: Einen ganzen Zirkus haben wir! Rauf nach Guayaquil.«

Dann kam der Kapitän, mit ihm der Agent; der las ihnen das Telegramm von der Ermordung des Thronfolgers vor. »Es wird Konflikte geben drüben!« sagte er. »Das wird Wien nie ruhig einstecken, das nicht!«

Der Zweite schlug sich auf die Schenkel. »Es hat sich vielzuviel gefallen lassen von der Lausebande. Soll endlich dreinhauen.« Und er pfiff: »Prinz Eugen, der edle Ritter« —

*     *

*

Die Zirkusleute machten es sich bequem auf Deck. Sie schlugen kleine Zelte auf neben den Käfigen. Drei Löwen waren da und ein schöner Tiger, dann ein räudiger alter Wolf, ein syrischer Tanzbär und ein paar Hyänen. Hundsaffen und Meerkatzen; ein Angorakater, ein Pudel und eine Dogge; dazu Kakadus und Papageien. Und Pferde natürlich — achtzehn Pferde; auch ein kleiner Esel war dabei. Dann die Menschen; die Frau Direktorin, dick, sehr überfettet und schwammig, aus Toulouse. Zwei Brüder aus Maestricht, Tierbändiger der eine und der andere Degenschlucker. Zwei Reiterinnen, zwei Tänzerinnen — und die eine war hübsch. Mehrere Clowns, dann die Bedienungsleute. Und endlich Louison, ein blondes Ding von elf Jahren, der Direktorin Pflegekind — das tanzte auf dem Drahtseil. Sie war überall herum an Bord, kletterte in den Masten, stieg mit dem Ingenieur hinunter in die Maschine. Oben auf der Brücke spielte sie mit dem Kapitän und den Offizieren, in der Küche mit dem Koch, im Heck mit dem Zimmermann. Jeden Matrosen, jeden Heizer kannte sie, und ein jeder hatte etwas für sie. Was immer die Mama brauchte, erschmeichelte Louisen — und man braucht sehr viel an Bord, wenn man mit einem Zirkus reist, mit über zwanzig Menschen und zweiundfünfzig Tieren.

Am Sonntag lag man in Arica; da gingen die Clowns an Land, die Tänzerinnen und der Degenschlucker, gaben eine kleine Vorstellung auf der Plaza. Aber am Abend war Vorstellung an Bord; dazu hatte der Kapitän die Honoratioren geladen. Der Bär tanzte, die Clowns prügelten sich und die Äffchen spielten Soldaten. Die fette Direktorin führte die Papageien vor, die Tanzmädchen hupften und der Degenschlucker fraß zehn Säbel. Einigen von der Schiffsmannschaft gefiel er besser, und den andern die hübsche Tänzerin; darin waren aber alle einig: daß die höchste Kunst die kleine Louison gab. Man hatte ihr ein Seil gespannt, längs über das Schiff, von einem Mastkorb zum andern. Oben brannten bengalische Fackeln, eine grüne vorn und eine rote achtern. Es gefiel dem Kapitän nicht, daß man Steuerbord und Backbord so ihr uraltes Recht nahm — aber er ließ es gehn, um Louisons Willen. Sein Herz lachte, wie sie die Spieren hinaufsprang. »Da schaut zu, Jungs!« rief er den Matrosen zu. »Da könnt ihr was lernen!«

Louison war in rosarotem Trikot, sie lachte, und die blonden Haare flatterten in der Nachtbrise. Der Mann im Korb gab ihr ihren Stab, an beiden Enden mit großen Lampions geschmückt, einen roten wieder und einen grünen. Sie faßte ihn fest in der Mitte, schob den linken Fuß vor, scharrte ein wenig auf dem Drahtseil, wie ein Pony im Sand. Dann schritt sie dahin —

Atemlos starrten die Seeleute, keiner sprach ein Wort. Doch plötzlich, mit raschem Auflachen, rief der Kochsmaat: »Joh! Se hatt de greune Lamp an Backbord und de rote an Stürbord!«

Keiner lachte — der Kapitän warf ihm einen bösen Blick zu. Die, die neben dem Koch standen, zischten ihn an. Aber die kleine Louison hatte ihn wohl verstanden — sie blieb schaukelnd stehn, zog die Lippen hoch. Und vorsichtig, rechts hebend, links senkend, wandte sie den schweren Bambusstab, Zoll um Zoll, führte die rote Lampe hin und die grüne her. Nickte dann, leicht, graziös zu der Brücke hin, zum Kapitän. Der blinzelte ihr zu mit klugen kleinen Augen; aus seinem braunen Barte brummte es: »Lütte Deern! Brave lütte Deern!« — Aber die dicken Schweißtropfen perlten von seiner Stirn.

Keiner rief ein Wort, keiner klatschte. Sie starrten hinauf mit emporgereckten Hälsen, mit verhaltenem Atem, auf den rosaroten Bub, der am Sternenhimmel tanzte, unter dem Kreuz des Südens. Langsam, Schritt für Schritt, von der grünen Fackel zur roten, leicht schwankend, mitten durch die Luft.

Als sie am Fockmast war, fing ein Matrose sie auf, nahm ihr die Stange aus den Händen. Und die kleine Louison grüßte, warf Kußhändchen hinunter, dankte für das wilde Klatschen der schwieligen Fäuste, für den heiseren Schrei aus hundert Seemannskehlen. Sie schickte sich an, wieder zurückzugehn, aber der Kapitän gab es nicht zu. »Nee!« sagte er, »da geh ich lieber selber — dann hab ich weniger Angst!«

Louison ging herum mit dem Teller, sammelte ein. Und sie gaben alle — auch die Schiffsjungen hatten noch einen versteckten Groschen. Aber der Kapitän nahm die Kleine in seine Kabine, suchte herum im Schubfach, gab ihr ein Band mit des Schiffes Namen »Thuringia«. Und einen silbernen Serviettenreifen mit dem Hapagzeichen. Da küßte ihn die kleine Louison.

*     *

*

Sie liefen Ilo an und Mollendo. Es war Mittwoch früh, als Frank Braun auf die Brücke kam zur Wache des Zweiten.

»Wann sind wir in Callao?« fragte er. »Ich muß gleich rauf nach Lima.« — Der Hamburger lachte hart auf. »Callao? — Das werden Sie in zwei Stunden sehn! Aber auf Lima müssen Sie heute verzichten, Doktor!«

Das war ihm unerwartet. »Wieso?« fragte er. »Fahren wir so bald wieder ab? Ich will nur ein paar Bekannten die Hand schütteln.«

Der Zweite pfiff ein paar schrille Töne. Dann, mürrisch: »O — wir haben viel Zeit jetzt. Bleiben wochenlang liegen vor Callao. Oder: gehn überhaupt nicht hin.« Er reckte den Arm, zeigte hinauf auf den Mast. »Da! Schauen Sie!« Frank Braun blickte nach oben — da flatterte ein kleiner gelber Wimpel.

»Was ist geschehn?« fragte er. »Wer ist krank?«

Der Offizier trat näher zu ihm: »Der Kapitän wird's Ihnen ja doch sagen, wenn er heraufkommt — es ist kein Geheimnis. Wer jetzt krank ist, weiß es nicht — aber einer ist tot. Wir haben ihn ins Meer gesenkt, achtern, vor drei Stunden.«

»Wen?«

»Den großen Clown!«

»Was war es?«

Der Hamburger zuckte die Achseln: »Gelbes Fieber.«

*     *

*

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.

This is a free sample. Please purchase full version of the book to continue.